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Pegida, quo vadis? Heute: München

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Protest gegen "Pegida München" gab es anfangs sehr stark, aber auch später beständig. Foto vom 02. November 2015.
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Flickr.com / Creative Commons CC by-sa 2.0 / Ilias Bartollini
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"Pegida" funktionierte und funktioniert vor allem in Dresden. Die erfolgreichste West-"Gida" ist allerdings München. In einer losen Serie betrachtet die Amadeu Antonio Stiftung auf netz-gegen-nazis.de die "Gidas" der Bundesländer - auch unter Gender-Aspekten. Heute: 56 Aufmärsche des Pegida-Ablegers in München lassen Zweifel kaum offen: Pegida ist in der vermeintlichen Komfortzone Deutschlands angekommen.  

Aus diesem Grund traf sich Bastian Flossmann sich mit Robert Andreasch (Mitarbeiter des a.i.d.a.-e.v./Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e. V.) zum Interview, um Hintergründe und Spezifika der Münchner Gidas zu erfragen.
 

Wie lange ist Pegida München jetzt schon auf der Straße?

Seit Januar 2015, mit einer leichten Verzögerung zum sächsischen „Original“, finden jeden Montag, bis auf wenige Ausnahmen, Aufmärsche von "Pegida-München" statt, bis jetzt sind es 56. Diese wurden noch bis vor kurzem von bis zu 400 Teilnehmer_innen besucht. Dabei fällt auf, dass sich die Zusammensetzung der Teilnehmenden anfangs quer durch alle gesellschaftlichen Schichten und Geschlechter zog, nur Kinder waren fast nicht vertreten. Mittlerweile verschieben sich die Verhältnisse der Zusammensetzung der Demonstrationsteilnehmer_innen stark. Es dominiert vor allem ein Typus, der des älteren Mannes, 50+, mit Zug zur Rente und gesellschaftlich abgehängt.

Zusätzlich zu den wöchentlichen Märschen veranstaltet "Pegida" seit einiger Zeit fünf mal pro Woche, auf zentralen Münchner Plätzen, Kundgebungen, die sogenannten „Muezzin Rufe“. Bei diesen Kundgebungen werden mehrmals stündlich die Gebete eines Muezzins imitiert, um gegen einen eventuellen Moscheebau in München zu protestieren.
 

Wie wichtig waren beziehungsweise sind Soziale Netzwerke für Pegida-München?

Zur Vorbereitung und Organisation der "Pegida"-Aufmärsche dienten Soziale Netzwerke wie Facebook, welche nach wie vor Hauptinformationsquelle der Bewegung darstellen. Darüber hinaus wurde die Facebookseite "Pegida-Bayern" geschaffen, ganz eindeutig von den Initiator_innen von "Pegida-München". Es handelt sich dabei um eine anonyme Domain und dementsprechend wird um ein vielfaches heftiger gehetzt, da keine Strafverfolgung befürchtet wird.
 

Spielen bei den Märschen und Kundgebungen auch die schon vor "Pegida" bekannten Münchner Nazi-Akteure eine Rolle?

Ja, die lokale Naziszene ist von Beginn an integraler Bestandteil der "Pegida"-Aufmärsche in München. Sie wurden sogar teilweise in die Ordner_innen-Strukturen integriert. Sie dürfen sowohl schwarz-weiß-rote Fahnen tragen als auch eigene Transparente. Darüber hinaus fällt auf, dass bekannte Münchner Nazis immer wieder Transparente und Schilder von "Pegida"tragen. Es gibt keine Bemühungen seitens "Pegida-München", den Nazis durch Verbot ihrer Symboliken Einhalt zu gebieten, noch sich anderweitig von ihnen zu distanzieren.

Wie eingebunden und akzeptiert Nazis tatsächlich bei "Pegida-München" sind, lässt sich anhand zweier Beispiele konkretisieren: Im März 2016 marschierten Mitglieder der ultrarechten Kaderpartei „Der Dritte Weg“ mit einem deutlich kenntlichen Fronttransparent auf den Auftakt-Kundgebungsort von "Pegida" zu - und wurden mit Applaus begrüßt. "Der III. Weg" ist ein Auffangbecken der im Jahr 2014 verbotenen Kameradschaft "Freies Netz Süd". Darüber hinaus nimmt die „Identitäre Bewegung“ in unregelmäßigen Abständen an den "Pegida"-Aufmärschen in München teil. Ist dies der Fall kommt es gewissermaßen zu einer quasi Übernahme der Demonstration durch die „Identitäre Bewegung“, welche dann durch ein weiteres Fronttranparent, Seitentransparente, Fahnen sowie eigenen Sprechchören erheblich auf die Außenwirkung der Demonstration einwirken.

Desweiteren wurde das typische "Pegida"-Fronttransparent am 25.04.2016 ausgetauscht und statt einem Hakenkreuz wird dort nun das Symbol der CDU und SPD in den Mülleimer geworfen.

Letztlich ist dies aber auch nur ein weiterer Anhaltspunkt, der offenlegt, dass die seit 25.04.2016 geführten internen Debatten hinfällig sind, die um die Frage geführt wurden, ob die starke Beteiligung der Münchner Naziszene zum großen Verlust an Teilnehmer_innen bei den Pegida-Aufmärschen in München führte. Nazis sind von Anfang an dabei und sind tolerierter, wenn nicht sogar akzeptierter Teil von "Pegida München".
 

Welche Rolle spielt die Afd im Zusammenhang mit "Pegida-München"?

Wahrnehmbar spielt die AfD keine Rolle. Dennoch, und das ist eine Besonderheit im bundesweiten Vergleich, gab es schon mindestens 3 Gastbeiträge von Rednern, welche sich klar als AfD-Mitglieder zu erkennen gaben. Dabei wurde auch das AfD-Logo an die Videowand des Lautsprecherwagens projiziert. Außerdem gibt es selbstverständlich zahlreiche Überschneidungen des Publikums bei "Pegida"und AfD-Veranstaltungen in München.
 

Wer redet denn bei den Märschen in München und was wird thematisiert?

Es gibt nur eine kleine Auswahl an Redner_innen, denn scheinbar herrscht in München ein chronischer Redner_innen-Mangel, in dessen Folge sich ein Konzept durchgesetzt hat, das eben keine benötigt. Es werden Videos eingespielt und diese werden dann meist von Heinz Meyer kommentiert. Er ist einer der wenigen, der fast zu jeder Demonstration spricht. Dazu kommen Maria Frank, "Doro" und die erst vor einigen Wochen scheinbar aus dem Organisationsteam geschasste  Birgit Weissmann. Also auch hier eine relative Gleichverteilung der Redeanteile, abgesehen von Heinz Meyer, zwischen Frauen und Männern.

Die Themenschwerpunkte sind aus neurechter Perspektive weitestgehend klassisch besetzt und dementsprechend zwischen völkischem Rassismus, sogenannter „Systemkritik“, Lügenpresse, Antiislamismus, Verschwörungstheorien, „frühkindlicher Sexualisierung“ und „Genderwahn“ zu verorten. Dabei sind die Inhalte der Reden vor allem eins: wirr und bisweilen konträr zum Selbstverständnis der Pegida-Bewegung. Letzteres verdeutlicht sich, wenn beispielsweise Heinz Meyer zur 25-minütigen Brandrede zur Emanzipation der Frau ausholt.

Das beliebte Konzept der bundesweiten Besuche und Gastreden von Lutz Bachmann und Co. will in München nicht so recht funktionieren. Bachmann geht, wahrscheinlich aufgrund von internen Unstimmigkeiten, lieber zu der weit kleineren und unbedeutenderen "Pegida-Nürnberg".
 

Welche Rolle spielen Frauen hinsichtlich der Organisation und Aufgabenverteilung bei den Märschen und Kundgebungen vor Ort?

Hier ist Birgit Weissmann zu nennen, welche zu den ersten Organisator_innen zählt, langzeitige Anmelderin, Rednerin und Versammlungsleiterin der "Pegida"-Aufmärsche war, aber seit einiger Zeit wohl nicht mehr dabei ist. Es bleibt abzuwarten, welche Rolle Frauen im Organisationsteam nach dem Ausscheiden von Birgit Weissmann spielen werden. Auffällig ist das es seit dem Wegfall der Doppelspitze Weissmann Meyer zu einer „Kompetenzakkumulation“ zugunsten Heinz Meyers kommt und er mehr oder minder den Führer von "Pegida-München" mimt.

Bei den Kundgebungen und Infoständen hilft immer Maria W., dazu kommen zwei Frauen, die Spenden einsammeln.

In den Ordner_innen-Strukturen sind fast ausschließlich Männer, auch die Verteilung der Aufgaben innerhalb des Organisationsteams sind sehr geschlechtsspezifisch aufgeteilt. Die Traversen, die Tonanlage, die Videoleinwand wird von Männern aufgebaut und bedient, auch der LKW wird von Männern gefahren und das Angreifen von Journalisten ist selbstverständlich Männersache. Das Geldeinsammeln, Flyer verteilen und Fahnen zusammenlegen, ist dann eher die Angelegenheit der Frauen.
 

(Wie) wird bei den Aufmärschen Geschlecht inszeniert, beziehungsweise wie werden die Teilnehmer_innen auf geschlechtlicher Ebene angesprochen?

Es werden ein paar Schilder getragen mit Anti-Gender-Parolen wie „Genderwahn stoppen“ und es wird gegen eine vermeintliche „Frühsexualisierung“ zu Felde gezogen. Eher selten sind homophobe Äußerungen. Vor allem werden aber massenhaft Anti-Gender-Flugblätter der „Jungen Freiheit“ verteilt. Geschlecht ist allgegenwärtiger Teil der Politik, die dort gemacht wird, nicht erst seit Januar 2016. Die deutsche Frau, die vor dem migrantischen Mann geschützt werden muss, spielt hier eine immer wiederkehrende Rolle. Die Inszenierung einer Kämpferattidüde, welche dem deutschen Mann zugeschrieben werden könnte, bleibt indes aus.

Bitte gib uns zum Ende des Interviews noch eine Zusammenfassung und Einschätzung der Gegenproteste in München.

Die Gegenproteste lassen sich gut in drei Phasen unterteilen. Zunächst veranstalteten Kulturschaffende der Stadt München zur ersten "Pegida"-Veranstaltung einen sehr großen allumfassenden Protest mit allem drum und dran, zum Beispiel Konzerten und anderen Kunst- und Kulturveranstaltungen, an denen sich bis zu 20.000 Menschen beteiligten. Nach zwei Veranstaltungen dieser Art war das öffentliche Interesse scheinbar um einiges geringer und es folgte die zweite Phase. Diese ist gekennzeichnet durch das massive Schrumpfen der Teilnehmer_innen-Zahlen und dem Hängenbleiben der Protestorganisation an antifaschistischen Gruppen. Durch die massive polizeiliche Repression gegenüber antifaschistischen Aktivist_innen und die nicht endenden faschistischen Aufmärsche kam es fast zum Erliegen der Gegenaktivitäten. Dann um den 9.November 2015 herum begann die dritte Phase mit der ersten erfolgreichen Blockade der Faschist_innen. Seit dem sind wieder mehr Menschen an den Gegenprotesten beteiligt und es ist ein deutlicher Anstieg an Gegenaktivitäten aller Art zu verzeichnen.

 

Mehr auf Netz-gegen-Nazis.de: 

 

Foto unter Creative Commons Lizenz CC by-sa 2.0

Ressorts (Netz gegen Nazis): 
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Monatsüberblick Juni 2016: Rassismus und Feindlichkeit gegen Flüchtlinge

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Zum Jahrestag der Krawalle beim "Hotel Leonardo" ist Freital wieder in den Schlagzeilen - zur Demo allerdings kamen nun vor allem offene Rechtsaußen und Rechtsextreme.
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Darin: Gewalt und Bedrohung: Lingen (Niedersachsen): Mann schießt mit Luftgewehr auf Flüchtlinge +++ Rostock: Nazis hetzen gegen Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge - mit Resonanz in der Bevölkerung +++ Ausländerbehörde Bielefeld droht mit Schild: „Wer hier meckert, wird erschossen“ +++ Welle des Hasses gegen Kommunalpolitiker, die Geflüchtete unterstützen +++ Sachsen: Die Bürgerwehr-Show von Arnsdorf +++ 4 x  Freital, u.a. Nazi-Jahrestagsfeier der Krawalle am "Hotel Leonardo" +++ Urteile zu Übergriffen auf Unterkünfte in Crimmitschau, Glauchau, Hoyerwerda, Wassenberg, Duisburg, Berlin, Altenburg, Heidenau +++ Rassismus auf Regierungsebene: Die Zahlen des Innenministers +++ Neue Zahlen zu Rassismus +++ Ladenbesitzerin aus Berlin-Neukölln will keine Roma in ihrem Geschäft +++ Jérôme Boateng: "Ich wurde stellvertretend angegriffen" +++ Polizeischule Eutin: Neues Verfahren?

Von Simone Rafael
 

Feindlichkeit gegen Geflüchtete: 
Gewalt und Bedrohung +++ Sachsen +++ Urteile +++ 

Rassismus
 

Feindlichkeit gegen Geflüchtete

 

Gewalt und Bedrohung
 

Lingen (Niedersachsen): Mann schießt mit Luftgewehr auf Flüchtlinge

In Lingen (Niedersachsen) wurden ein Syrer und ein 5-jähriges Mädchen aus Mazedonien vor ihrem Flüchtlingsheim beschossen. Der Schütze, ein 21-jähriger Mann, benutzte ein Luftgewehr. Nach Polizeiangaben zielte er von seiner Wohnung aus auf das nahe gelegene Heim. Mädchen und der 18-jähriger Syrer wurden leicht am Bein verletzt. Sie mussten im Krankenhaus behandelt werden. Nach Zeugenaussagen über die Schüsse stürmte die Polizei stürmte die Wohnung des Schützen und beschlagnahmte ein Luftgewehr samt Munition. Sie sah jedoch keine Haftgründe vorliegen und beließ den Mann auf freiem Fuß, obwohl er wegen Körperverletzung und Nötigung polizeibekannt sei: Es sei keine Tötungsabsicht nachweisbar und es sei weder von einer Wiederholungsgefahr noch von einer Fluchtgefahr auszugehen (ZEIT). Nach Informationen der Neuen Osnabrücker Zeitung soll der Tatverdächtige Verbindungen zur rechten Szene haben, was der Sprecher der Osnabrücker Staatsanwaltschaft, Alexander Retemeyer, bestätigte. Die „Antifaschistische Aktion Lingen“ beschreibt ihn als NPD-Sympathisanten mit Waffen-Fetisch (taz).
 

Rostock: Nazis hetzen gegen Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge - mit Resonanz in der Bevölkerung

Eine Facebook-Gruppe „Infoflut Rostock“, gespickt mit unverhohlenen Links zur NPD, Identitärer Bewegung und anderen rechtsextremen Kreisen, versucht aus einer Betreuungs-Einrichtung für Jugendliche, die unter anderem auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge betreut, ein zweites „Lichtenhagen“ zu machen, fürchtet auch die Polizei. Die Initiatoren stoßen auf Resonanz von Anwohnern. Etwa von Müttern, die sich um den unbehelligten Schulweg ihrer Kinder „sorgen“. Erst Anfang März wurde die zuvor leerstehende Einrichtung in Groß Klein bezogen. Die Militanz des inszenierten Protests kam für die Geschäftsführerin der Einrichtung unerwartet - vorsorglich seien Mitarbeiter mit den Jugendlichen weggefahren, als eine Demonstration angekündigt wurde (SVZ, Endstation rechts)
 

Ausländerbehörde Bielefeld droht mit Schild: „Wer hier meckert, wird erschossen“

So fühlt man sich sicher nicht willkommen: Bei der Zentralen Ausländerbehörde Bielefeld (ZAB) wurden Asylsuchende kürzlich mit dem geschmacklosen Schild "Wer hier meckert wird erschossen!" begrüßt. Die Behörde ist zuständig für die Erstaufnahme von Asylsuchenden und Aufenthaltsgenehmigungen und damit eine der ersten Anlaufstellen für asylsuchende Menschen in Bielefeld. Das Schild wurde inzwischen entfernt - ob der oder die Aufhängende auch entfernt wurde, ich nicht bekannt (Huffington Post).
 

Umfrage unter Bürgermeistern: Eine Welle des Hasses gegen Kommunalpolitiker

Beleidigungen per E-Mail, tote Ratten vor der Haustür bis hin zu tätlichen Angriffen: Deutsche Kommunalpolitiker sind mit einer Welle des Hasses konfrontiert. Wie eine Umfrage ergab, werden die Volksvertreter vor allem wegen der Flüchtlingspolitik attackiert. In fast jeder zweiten deutschen Kommune (47 Prozent) wurden haupt- und ehrenamtliche Bürgermeister, Mitarbeiter oder Gemeinderäte im Zusammenhang mit ihrer Flüchtlingspolitik bereits beschimpft oder beleidigt, wie aus einer Umfrage für das Monatsmagazin "Kommunal" hervorgeht. Das Spektrum reiche von Verunglimpfungen und beleidigenden Mails über Schmierereien an Hauswänden bis hin zu toten Ratten vor der Haustür. Körperliche Angriffe seien dabei bisher die Ausnahme: Sechs Prozent der befragten Bürgermeister hätten angegeben, körperlich attackiert worden zu sein, davon die Hälfte im Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik. Eine gesetzliche Verschärfung gegen Hassmails und "Politiker-Stalking" halten laut der Umfrage 52 Prozent der Befragten nicht für sinnvoll. Gleichzeitig sind die Bürgermeister in der Flüchtlingspolitik optimistisch, wie die Untersuchung ergab. Lediglich 14 Prozent der Kommunen fühlten sich derzeit überfordert, hieß es (tagesschau.de).

 

Junge Abgeordnete über Drohungen und Hetze: „Ich mache mir Sorgen“

Politiker werden beschimpft, sie erhalten Morddrohungen – ein herausgepöbeltes "Ich knall' dich ab" via Facebook oder auch ein Galgenfoto per Mail. Jetzt wurde in Großbritannien die Labour-Abgeordnete Jo Cox, 41, von einem Mann erschossen. Cox engagierte sich für Flüchtlinge und war gegen den Brexit, den Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union. Dafür wurde sie angefeindet. In der Vergangenheit war Cox bereits einmal zur Polizei gegangen, um "bösartige Mitteilungen" zu melden. Der Fall hat Parallelen zum Angriff auf die jetzige Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Ein Täter war in aller Öffentlichkeit mit einem Messer auf sie losgegangen. Was macht das mit unseren Abgeordneten? Wie erleben sie Hass im Netz? Und haben sie Angst davor, dass sie ihm auf der Straße begegnen? Tenor: Ja, aber wir lassen uns nicht einschüchtern (Bento).

Ein hessischer SPD-Landrat im Main-Kinzig-Kreis, Erich Pipa, kündigt währenddessen an, nicht mehr zu kandidieren, weil seine Familie Morddrohungen erhält wegen seines Engagments für Geflüchtete (ND).

 

Sachsen

Übergriff in Sachsen: Die Bürgerwehr-Show von Arnsdorf

Ein Internetvideo aus dem Netto-Supermarkt von Arnsdorf hat bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Es ist knapp zwei Minuten lang und zeigt, wie kräftige Männer einen zuvor mit Flaschen drohenden Asylbewerber aus dem Supermarkt zerren und verprügeln. Am Ende des Videos kommentiert die Filmerin: "Es ist schon schade, dass man ne Bürgerwehr braucht, oder?" In dem Ort rumort es schon länger, niemand sieht in dem Vorfall ein Problem. Die Polizei hält das Vorgehen der Männer für richtig. Einer der vier Männer, die den irakischen Asylbewerber, der in Arnsdorf in der psychiatrischen Klinik behandelt wurde, aus dem Netto-Supermarkt zerrten, geschlagen haben sollen und dann mit Kabelbindern an einen Baum fesselten, ist CDU-Gemeinderat Detlef Oelsner, der vor einem Jahr bei der Bürgermeisterwahl knapp verlor. Zwei seiner Helfer sind der amtierenden Bürgermeisterin mehrfach bei Versammlungen zur geplanten Unterkunft aufgefallen. Das Video, das den Vorfall zeigt und erst in rechten Foren zirklierte, ist vom 21. Mai – wenige Stunden zuvor war auf der Facebookseite mit der Gründung einer Bürgerwehr gedroht worden, sollte das Flüchtlingsheim kommen (ZEITSpiegel OnlineSZHuffington Post)
 

Außerdem:

  • Brandanschlag auf Sportverein SV Fortuna Leipzig, der Geflüchtete unterstützt - Sport- und Arbeitsgeräte für 25.000 Euro bei angekündigtem, rechtsextrem motivierten Brandanschlag zerstört (LVZ)
     
  • Initiator der flüchtlingsfeindlichen Proteste in Lichtenau wegen Volksverhetzung verurteilt (3.600 Euro). Er sagte bei der Kundgebung der Vereinigung "Heimat und Tradition" in Chemnitz, die Versammelten sollten "alle Freizeit, alle Kraft zu investieren, um diesen Dreck, der hier reinkommt, wieder raus zu prügeln". Davon gibt es sogar ein Video. In Berufung geht er trotzdem - das sei doch "Meinungsfreiheit" (Freie Presse)
  • Clausnitz: Verfahren gegen zwei Polizisten zum umstrittenen Polizeieinsatz (u.a. Kind mit Gewalt in Unterkunft durch den tobenden flüchtlingsfeindlichem Mob gezerrt) eingestellt; dafür Strafbefehl für vier Demonstranten aus dem Mob wegen Nötigung (Tagesspiegel)

  • Freital I: Täter, die das Auto des Linken-Stadtrats Michael Richter im Juli 2015 gesprengt hatten, hatten enge Kontakte zur unter Terrorismusverdacht stehenden "Gruppe Freital" (SZ).

  • Riesas Oberbürgermeister Marco Müller unterschreibt den aktualisierten "Riesaer Appell gegen Rassismus" nicht und verweigert den weiteren Unterzeichnern Räume im Rathaus, so dass auf einer Wiese davor unterschrieben werden musste (SZzum Text des Appells)

  • Sächsisches Netzwerk zur Flüchtlingsforschung und Forschung über Rechtspopulismus gegründet: An "Ilfris" beteiligen sich die Unis in Dresden, Leipzig, Chemnitz und das Hannah-Arendt-Institunt für Totalitarismusforschung (Dresden) (SZ)

  • Kampf gegen rechte Gewalt in Sachsen: Ministerpräsident Stanislaw Tillich will Geschichtsunterricht in der 10. Klasse wieder zum Pflichtfach machen. Bisher können die Schüler Geschichte in der 10. Klasse abwählen (ZEITRP)

  • In Sachsen hat sich die rechte G​ewalt gegen Politiker in einem Jahr verelffacht: 2014 gab es 5 solche Straftaten in Sachsen, 2015 waren es 58. In Thüringen sieht es übrigens ähnlich aus: 2014 waren es 9 "Straftaten zum Nachteil von Amts- und Mandatsträgern", 2015 sind es 33 (Huffington Post).

  • Auch Leipzigs Polizeichef Bernd Merbitz wird bedroht und findet die aktuelle "Pogromstimmung" schlimmer als in den 1990ern (BILD).

  • Freital II: In Freital wurden zwei Holzkreuze sicher gestellt: Eines befand sich in einem Blumenkasten vor dem Rathaus, Aufschrift „BRD=Volkstod“. Ein weiteres Kreuz wurde vor einem ehemaligen Kindergarten auf der Dresdner Straße festgestellt. Es trug die Aufschrift „Deutsches Volk“ (DNN)

  • Freital III: Demo zum "Jahrestag" der Krawalle am "Hotel Leonardo". 80 Neonazis, Reichsflaggen, der ehemalige Leipziger NPD-Funktionär Alexander Kurth, inzwischen sächsischer Landeschef von "Die Rechte",  der am Mikrofon des „Wir sind ein Volk“-Wagens von Thügida steht, stimmt den Chor der "Asylgegner" an: „Volksverräter, Volksverräter!“ Dann feiern die Rassist_innen: „Das Heim wurde geräumt. Wir haben gesiegt!“ Stimmt zwar nicht, aber das ist hier egal. (SZ; Video: MDR)

  • Freital IV: Immerhin: Der AfD-Landtagsabgeordnete André Barth verlängerte den Vertrag mit seinem Büroleiter Dirk Jährling nicht, weil man "menschlich nicht zusammengepasst" habe. Jährling moderierte bei Demonstrationen der Initiative "Freital wehrt sich - Nein zum Hotelheim" (später "Bürgerinitiative Freital"), teilte jetzt ein Video mit Holocaust-Leugnung auf Facebook (SZ; sehr schön das Interview dazu als Video beim MDR - da sagt Jährling: "Ich teile eben auch Videos von Holocaust-Gegner!" Finde den Fehler...)

 

Urteile

  • Crimmitschau: Molotowcocktails auf Flüchtlingsunterkunft, in der 39 Menschen schliefen:  Täter 1 fünf Jahre wegen versuchten Mordes und versuchter schwerer Brandstiftung; Täter 2 viereinhalb Jahre Gefängnis; Täter 3 drei Jahre und 9 Monate Gefängnis (ZEIT)
     
  • Glauchau: 41-Jähriger attackiert fünf junge Syrer verbal, wirft einen eisernen Fahrradständer nach Ihnen und würgt eine 24-Jährige, die zu deeskalieren versucht -> sechs Monate Bewährungsstrafe, 180 Stunden gemeinnützige Arbeit (Freie Presse)
     
  • Hoyerswerda: Vier Neonazis werfen Molotowcocktail auf bewohnte Flüchtlingsunterkunft -> Anklagepunkte Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten, Verstoß gegen das Waffengesetz -> Bewährungsstrafen von neun Monaten bzw. einem Jahr und vier Monaten – trotz einschlägiger Vorstrafen (Störungsmelder)
     
  • Wassenberg (NRW): Vier Männer greifen drei Flüchtlinge an; zwei Flüchtlinge können fliehen, einer wird mit einem Schlagstock und Stahlkappenschuhen bewusstlos geprügelt -> Anklage gefährliche Körperverletzung -> Bewährungsstrafen zwischen einem Jahr und 3 Monaten und neun Monaten, einer bekommt neun Monate Gefängnis (Jugendstrafen) (WeltBlick nach rechts
     
  • Duisburg: 62-Jähriger erfindet Vergewaltigungsgeschichten über Geflüchtete, verbreitet sie über Facebook:  Fünf junge Mädchen aus Kleve seien auf dem Schulweg von Flüchtlingen entführt, vergewaltigt und schwer verletzt worden. Der Fall werde von Behörden und Medien bewusst verschwiegen. Er war frei erfunden. -> Neun Monate Bewährungsstrafe, 500 Euro.an „Pro Asyl“ (DerWesten)
     
  • Berlin: 39-Jähriger schickt Bombendrohungen gegen Politiker und Flüchtlingshelfer von „Hellersdorf hilft“ -> Anklage Störung des öffentlichen Friedens, Bedrohung: Ein Jahr Haft (Berliner Zeitung)
     
  • Altenburg: Prozess nach Brandanschlag auf bewohnte Geflüchtetenunterkunft in Gera eröffnet. Beide mutmaßlichen Täter, ein 29-Jähriger und ein 31-jährigen Vater von vier Kindern, sind wegen Verbreitung von Nazi-Propaganda vorbestraft, hatten Kontakte zur in Thüringen neonazistisch aufgestellten "Thügida". Die Täter gaben an, auf dem Weihnachtsmarkt angetrunken mit Geflüchteten aneinandergeraten zu sein. Daraufhin randalierten sie vor einer Flüchtlingsunterkunft, zogen dann vor eine zweite, die sie dann in Brand zu stecken versuchten, indem sie Papier und Kinderwägen im Flur anzündeten. Dabei sangen sie Rechtsrock-Lieder (insuedthueringen.de). Der 29-Jährige wurde zu dreieinviertel Jahren Haft verurteilt und zum Alkoholentzug, der 31-Jährige zu einer Geldstrafe von 1.200 Euro (120 Tagessätze à 10 Euro). (DW). Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der 29-Jährige legten Revision ein - der Fall geht zum Bundesgerichtshof (LVZ).
     
  • Dresden / Heidenau: 24-Jähriger wirft bei den Krawallen von Heidenau 2015 Baustellen-Absperrungen auf Polizisten, stiehlt einen Feuerlöscher in einer Tankstelle um die Hauptstraße zu vernebeln, schleudert Metallbehälter auf die Polizei -> Schwerer Landfriedensbruch, versuchte gefährliche Körperverletzung -> ein Jahr und 8 Monate Gefängnis (SZ)

 

Laufende Prozesse

Düsseldorf: Bundesanwaltschaft fordert lebenslange Haft für Reker-Attentäter. Die Tat des 44-Jährigen sei heimtückisch gewesen, die angegriffene OB-Kandidatin wehrlos. Zuletzt hatte ein Gutachter Frank S. attestiert, voll schuldfähig zu sein. Der Angeklagte sei "recht impulsiv", "schnell kränkbar" und neige dazu, "alles stets als feindselig und gegen sich gerichtet zu erleben". S. gehe von einer "permanenten Bedrohung von außen" aus. Hinzu komme ein "ausgeprägter Eigensinn und ein fast kindlicher Trotz" (Spiegel Online).
 

Rassismus auf Regierungsebene

Bundesinnenminister Thomas de Maizière sagt in einem Interview, Ärzte würden von Abschiebung bedrohten Asylsuchenden Gefälligkeitsatteste ausstellen. Doch die Zahlen, auf die er sich stützte - 70 Prozent der Männer unter 40 Jahren würden vor einer Abschiebung für krank und nicht transportfähig erklärt -,  ließen sich statistisch nicht belegen. De Maizière sprach dann von einem „Erfahrungswert“, der aber durch keine Statistik gedeckt sie (Tagesspiegel). Es war nicht das erste Mal, dass der Minister in Bezug auf Geflüchtete und Migration mit nicht existenten Zahlen hantierte (ZEIT).

 

Lügen über Geflüchtete

Waldmünchen (Bayern): Geschichte eines 17-Jährigen, der von einen Überfall durch vier Flüchtlinge in Sozialen Netzwerken erzählte und bei der Polizei anzeigte, war frei erfunden (mittelbayerische.de).

  

Rassismus
 

Neue Studien, neue Zahlen

Es gibt viele neue Studien und neues Zahlenmaterial zu Rassismus und rassistischer Gewalt in Deutschland - wir berichten darüber im Schwerpunkt "Neue Zahlen"

 

Ladenbesitzerin aus Berlin-Neukölln will keine Roma in ihrem Geschäft

Ein rundes Verbotszeichen mit dem durchgestrichenem Wort "Roma" prangt an der Tür eines Esoterik-Ladens in Neukölln. Die Inhaberin wüsste sich nicht mehr anders zu helfen, erklärt sie – zu oft sei sie bestohlen worden. Es ist ein kleiner Laden in der Emser Straße. Im Angebot hat das Geschäft Duftkerzen und Esoterik-Artikel. Entdeckt hat das Schild Romeo Franz (49), selbst Roma und Geschäftsführer der Hildegard-Lagrenne-Stiftung. Diese setzt sich seit 2012 für die Rechte und gesellschaftliche Teilhabe der im Nationalsozialismus verfolgten Minderheit in Deutschland ein. „Das ist Apartheid gegenüber Roma und das werden wir nicht hinnehmen“, sagte Franz Er will jetzt Anzeige gegen die Ladenbetreiberin erstatten (BZ).

 

Jérôme Boateng: "Ich wurde stellvertretend angegriffen"

Im Vorfeld der Fußball-Europameisterschaft äußerte AfD-Vize Alexander Gauland, Menschen wollten Jérôme Boateng nicht als Nachbarn haben - was sich massiv gegen ihn richtete, da die wenigsten Menschen etwas dagegen hätten, einen in Deutschland geborenen talentierten Fußball-Star zum Nachbarn zu haben - ausführlich haben wir das berichtet hier, zusammen mit anderen rasstischen und rechtsextremen Ausfällen zur EM:

Gutes Interview mit Boateng in der Berliner Zeitung:

Haben Sie grundsätzlich das Gefühl, dass der alltägliche Rassismus weniger geworden ist in den vergangenen Jahren?
Ich denke schon, aber er ist anscheinend noch längst nicht weg. Ich hatte gehofft, das wäre überwunden.

Ihr Bruder Kevin-Price hat vor drei Jahren eine Rede vor den Vereinten Nationen gehalten und darauf hingewiesen, dass es der größte Fehler wäre, den Rassismus einfach zu ignorieren, wenn man ihn bekämpfen wolle.
Ich will das Thema auch nicht ignorieren, aber es passt einfach überhaupt nicht in diese Tage, da wir uns hier auf die Europameisterschaft vorbereiten. Wir bestreiten in rund elf Tagen unser erstes Spiel gegen die Ukraine. Ich möchte auch nicht, dass solche Leute über mich Aufmerksamkeit und eine große Plattform bekommen. Und ich möchte ebenfalls nicht, dass ich im Vergleich zu meinen Mannschaftskollegen zu viel Aufmerksamkeit bekomme. Wir haben ja einige andere Spieler, die in anderen Ländern ihre Wurzeln haben. Ich wurde stellvertretend angegriffen. 

(vgl. auch Spiegel Online)
 

Polizeischule Eutin: Neues Verfahren?

Der Fall hatte Schlagzeilen gemacht: Sexistische und rassistische Vorfälle an der zentralen Ausbildungseinrichtung Polizei in Schleswig-Holstein? Von körperlichen Übergriffen auf Polizeischülerinnen war die Rede, von rassistischen Kommentaren im elektronischen Mitteilungsdienst WhatsApp (ngn berichtete). Möglicherweise wird das Verfahren neu aufgerollt: Schleswig-Holsteins Innenministerium bestätigte jetzt Informationen von NDR Info, wonach in der vorletzten Woche ein anonymes Schreiben im Innenministerium eingegangen ist: Nach einer ersten Sichtung bestehe das "Papierkonvolut" aus  mehr als einhundert Seiten Vernehmungsprotokollen sowie Ausdrucken elektronischer Kommunikation. Der Umschlag war danach am 25. Mai in den Briefkasten des Ministeriums gelangt. Adressiert war es an den Innenminister - und zwar "persönlich". Der Inhalt könnte eine zentrale Rolle für die weitere Entwicklung spielen (NDR)

 

"Gefährliche Enthemmung" in Sachen Rassismus

Durch die Äußerungen von AfD-Politikern wird über Rassismus debattiert. Dabei stellt sich die Frage, ob Diskriminierung wieder salonfähig ist. Rassismusforscherin Bilgin Ayata gibt im DW-Interview Antworten.

Derzeit wird aber wieder über Rassismus gesprochen – auch und vor allem wegen der AfD. Welchen Einfluss haben etwa die Aussagen von Alexander Gauland oder Björn Höcke?

Es findet eine gefährliche Enthemmung in der öffentlichen Diskussion statt. Die Grenze dessen, was gesagt werden darf und was nicht, wird bewusst verschoben. Dinge werden geäußert, die sehr offen rassistisch sind. Indem dann aber noch extremere Aussagen gemacht werden, wirken die vorherigen auf einmal normal. Ich warne aber davor, das Problem des Rassismus allein auf die AfD zu reduzieren. Politik und Gesellschaft tragen die Verantwortung, denn sie hat das Problem über Jahre geleugnet. Auch die Medien tragen eine Verantwortung, wenn sie unkritisch rassistische Formulierungen übernehmen oder sogar selber schaffen wie etwa die 'Dönermorde'. In der Politik sind bereits seit Jahrzehnten Einwanderung und Flüchtlinge ein beliebtes Wahlkampfthema, in der die Migranten instrumentalisiert und stigmatisiert werden. Da darf man sich nicht wundern, wenn heute in plumpen Formen Dinge gesagt werden, für die der Nährboden schon früher geschaffen wurde.

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Mehr Menschenfeindlichkeit aktuell, Juni 2016:

 

| Menschenfeindlichkeit Juni 2016: Rassismus und Feindlichkeit gegen Flüchtlinge
| Menschenfeindlichkeit Juni 2016: Antisemitismus
| Menschenfeindlichkeit Juni 2016: Homofeindlichkeit und Sexismus
| Menschenfeindlichkeit Juni 2016: Islamfeindlichkeit
| Menschenfeindlichkeit Juni 2016: Rechtspopulismus - AfD und Pegida
| Menschenfeindlichkeit Juni 2016: Internet

 

Alle Artikel zum Thema

| Flüchtlinge
| Rassismus

| Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

 

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Pegida, quo vadis? Heute: Frankfurt am Main, Hessen

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Danach war Schluss: Der letzte klägliche "Pegida Frankfurt"-Aufmarsch im Juni 2015
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Juliane Zeller

In Frankfurt am Main ist Islamhass erstaunlich weiblich - zumindest auf der Aktivistinnen-Ebenen mit der fundamentalchristlichen Heidi Mund oder der jungen Rechtsextremen Ester Seitz. Doch die Frankfurter Zivilgesellschaft gab "Pegida" keinen Raum - und zwar weder "Fragida" noch "Pegida Frankfurt" noch dem "Widerstand Ost/West". In einer losen Serie betrachtet die Amadeu Antonio Stiftung auf netz-gegen-nazis.de die "Gidas" der Bundesländer - auch unter Gender-Aspekten.
 

Mit Juliane Zeller, die als  engagierte Frankfurterin bei den Protesten gegen die Frankfurter „Gidas“ dabei war, sprach Simone Rafael.
 

Gibt es regelmäßige Aufmärsche von der Gida-Bewegung vor Ort?

Im Oktober 2014 gab es den ersten Versuch, solche Demonstrationen auch in Frankfurt durchzuführen: „Fragida“. „Fragida“ entstand im Umfeld der Wählervereinigung „Bürger für Frankfurt (BFF)“ und der AfD, erhielt allerdings so viel Gegenwind von der örtlichen Zivilgesellschaft („NoFragida“), dass „Fragida“ niemals versuchte, auf die Straße zu gehen.

Das tat erstmals „Pegida Frankfurt“ unter Heidi Mund im Dezember 2014. Zu „Pegida Frankfurt“ kamen rund 100 Menschen, bei der Gegendemonstration waren 16.500 Menschen. „Pegida Frankfurt“ wurde sofort blockiert und konnte keinen Meter laufen. Das blieb auch bei den folgenden „Pegida Frankfurt“-Terminen so. „Pegida Frankfurt“ demonstrierte wöchentlich, bis zum März 2015.

Dann hat Lutz Bachmann Heidi Mund das Recht entzogen, ihre Veranstaltungen weiter unter „Pegida“-Label zu machen. Das hat Mund allerdings nicht entmutigt – sie nannt die Veranstaltungen nun „Freie Bürger für Deutschland“. Es war aber die gleiche traurige Truppe. Die demonstrierte bis Mitte Juni 2015.

Dann gab es dann noch einen etwas anderen, weil an die Hooligan-Szene gerichteten Versuch, Rassismus auf die Straße zu bringen: Die „Widerstand Ost/West“-Demonstration der jungen Rechts-Aktivistin Ester Seitz. Aber auch hier kamen statt der anvisierten 1.000 „Patrioten“ nur 186 Teilnehmende,unter anderem aus den Reihen der „Berserker Pforzheim“, und wieder 5.000 Gegendemonstrant_innen, die blockiert haben – diesmal auch mit Unterstützung der Frankfurter Fußball Fanszene. Danach war es mit dem Demonstrationen vorbei. Wobei es faktisch ja eh keine waren, denn maximal sind die Pegidisten einmal im Gitter herum gelaufen.

 

Wer demonstriert dort?

Da liefen im Schnitt so 30 bis 40 Personen auf, vielleicht ein Drittel Frauen. Ich vermute, dass so viele Frauen dabei waren, weil die Organisatiorin und Anmelderin Heidi Mund eben auch eine Frau ist. Hauptsächlich waren es ältere Menschen, nur ein oder zwei Jugendliche waren dabei. Insgesamt wirkten die Teilnehmenden wie die Trinkerhäuschen-Kioskszene. Bei der letzten Demonstration am 17.06.2015 waren die „Freien Bürger für Deutschland“ gerade noch 18 Personen. Eine davon war natürlich Heidi Mund, die auf der Straße saß und weinte. Sie hätte vermutlich immer weiter demonstriert, hatte aber das Geld für Lautsprecherwagen und Demo-Infrastruktur nicht mehr. Sie kündigte stattdessen Video-Botschaften auf Youtube an. Dort ist sie allerdings nicht gerade aktiv.

 

Wer meldet die Demos an?

Angemeldet wurden die Demonstrationen von „Pegida Frankfurt“ und den „Freien Bürgern für Deutschland“ von Heidi Mund und ihrem Mann Mathias. Sie sind evangelikale Christen. Heidi Mund ist schon vorher mit islamfeindlichen Aktionen in der Öffentlichkeit aufgefallen, insofern war sie keine überraschende Akteurin in Frankfurt.

 

Spielte die lokale Naziszene eine Rolle bei den Demos?

Der bekannte NPD-Kader Stefan Jagsch, ehemaliger Landesvorsitzender der NPD Hessen, war bei Demonstrationen dabei – kam allerdings nicht mehr, seitdem Heidi Mund sich des öfteren in einer Israel-Flagge gehüllt hatte und Israel zum Bollwerk gegen die Islamisierung erklärt hatte. Das gefiel offenbar der NPD Frankfurt nicht. AfD-Mitglieder waren auch bei den Demos, traten aber auch nicht als AfD in Erscheinung.

 

Gibt es eine Abgrenzung zur Nazi-Szene vor Ort und wenn ja wie erfolgt diese?

Heidi Mund hat sich immer auf die Position zurückgezogen, sie wolle keine NPD oder Nazis auf der Veranstaltung, aber sie erkenne die Menschen auch nicht. Das ist aber wenig glaubwürdig, in Frankfurt sind die lokalen Neonazis recht bekannt, es gibt ja nicht sehr viele.

 

Wer hat geredet?

Heidi Mund hat immer gesprochen, dazu hat sie „prominente“ Islamhasser als Redner eingeladen wie Michael Stürzenberger aus München und den Hass-Blogger „Michael Mannheimer“. Auch Ester Seitz hat gesprochen.

 

Welche Themen werden dort in Reden, auf Plakaten benannt?

Das zentrale Thema war Islamhass. Das zweitbeliebteste waren die „linksgrünversifften Rotfaschisten“, also alle Menschen, die nicht bei „Pegida Frankfurt“ waren. Aber auch Homo- und Transfeindlichkeit war ein Thema. Da haben die Gegendemonstrant_innen junge Männer auf ihre Schulter gehoben, die sich geküsst haben. Heidi Mund stand in ihrem Gitterkäfig und hatte keine gute Laune.

 

Welche “Lösungsstrategien” werden propagiert, welches Gesellschaftsbild?

Keine Lösungsstrategien. Ansonsten ist Heidi Mund wie gesagt aus einem evangelikalen Umfeld, dass heißt,  sie propagiert ein striktes, anti-modernes Familienbild und Bild der Welt. Allerdings ist sie strikt pro-israelisch - aus Islamhass, der in ihrem Weltbild der Motor zu sein scheint. Speziell ist, dass sie sich von Gott berufen fühlt und auch gern einmal erzählt, wie sie mit Jesus über Themen spricht.  Deshalb war es auch den Kirchen sehr wichtig, sich hier zu positionieren.
 

Spielen Soziale Netzwerke eine Rolle, und wenn ja, welche?

Ja,ohne die Mobilisierung in den Sozialen Netzwerken hätte es sicher nicht einmal diese kleinen Demonstrationen gegeben. Bei „Facebook“ gibt es „Pegida Rhein-Main“ und die „Freien Bürger für Deutschland“. Hier wurde mobilisiert und organisiert. Außerdem gab es online noch  „Fragida“ und „Pegida Hessen“.
 

Alle Demonstrationen wurden von Frauen organisiert. Haben die in der Rechtsaußen-Szene in Frankfurt generell viel zu sagen?

Nein, das war eher überraschend. Normalerweise sind es hier Männer, die die rechtsxtreme Szene bestimmen – NPD-Kader Daniel Lachmann, oder Kai König aus dem Kameradschaftsumfeld der „Nationalen Sozialisten Rhein-Main (NSRM)“.
 

Wie sichtbar sind Frauen?

Bei „Pegida Frankfurt“ waren es vielleicht ein Drittel der Teilnehmenden. Neben Heidi Mund und Ester Seitz kannten man noch „Christine“ – die ist angeblich bei Ausschreitungen im März von einem Stein am Kopf getroffen worden und kam fortan nur noch mit Fahrradhelm zur Demonstration.

 

Gab es geschlechtsspezifische Ansprache?

Vor allem ging es eben um Islamhass -  innerhalb dessen gab es etwa Auslassungen darüber, wie frauenfeindlich der Islam sei.

 

Gibt es Gegenprotest? Wer organisiert sie?

Die Gegenproteste waren sehr breit aufgestellt – Islamfeindlichkeit und Rassismus passen einfach nicht zum Selbstverständnis vieler Menschen in einer international orientierten Stadt wie Frankfurt. Da waren Schüler_innen und Student_innen dabei, Geschäftsleute, Gewerkschafter_innen, aber auch Banker_innen oder Passant_innen, die sich spontan angeschlossen haben. Ich war vorher auch noch nie auf einer Demonstration, aber das Thema war mir wichtig. Bei den Protesten waren Antifa-Bündnisse dabei, die Anti-Nazi-Koordination (ANK), das bürgerlicher „Römerberg-Bündnis“ – und alle demonstrierten zusammen, mit dem klaren Ziel: Blockade. „Pegida Frankfurt“ sollte keinen Meter laufen. Auch die Kirchen, vor deren Türen die Pegida-Treffen stattfanden, waren bei den Protesten dabei, hingen Anti-Rassismus-Banner an ihre Fassaden. Hans-Christoph Stoodt , der ehemalige Pfarrer der Katharinenkirche in Frankfurt, hat sich auch mit einem Megaphon neben die „Pegida“-Kundgebung gestellt und lautstark über sie aufgeklärt. Weil die Ablehnung der „Pegida“-Positionen hier so umfassend Konsens ist, zog sie sich vom linken bis ins konservative Lager, und niemand hielt diese Menschen für „besorgte Bürger“, sondern für die Rechtspopulist_innen und Islamfeind_innen, die sie sind. Schön war: Nach jeder „Pegida“-Gegendemonstration – die ja vor allem eine Blockade war – gab es eine Spontandemonstration durch die Frankfurter Innenstadt mit dem Tenor: „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda!“ Da haben sich immer viele Passant_innen spontan angeschlossen.

 

„Pegida“ ist in Frankfurt Geschichte. Hatten die Aufmärsche Folgen? Was machen die Leute jetzt?

Sie sind immer noch die verschwindend kleine Minderheit, die sie vorher schon waren – ohne jeglichen Einfluss auf die Stadtgesellschaft. 
 

 

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Monatsübersicht Juni 2016: Rechtspopulismus, AfD und Pegida

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Pegida und die Logik... ein Auszug aus den #PegiWars, die gab es auf der Orga-Ebene zwischen Lutz Bachmann und Tatjana Festerling, unter den Anhänger_innen aber auch...
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Screenshot Flurfunk Dresden
http://www.flurfunk-dresden.de/2016/06/18/pegiwars-unser-top-11-kommentare-zum-pegida-streit/

Darin: Pegida zerlegt sich, wo es groß wurde: In Internet +++ Demonstrationen: Legida, Pegida, "Bürger stehen auf", Allgida, Pegida Dreiländereck (nicht), "Keine Drogen in Dresden" +++ „Sachsen rechts unten ​2016“: Pegida wirkt auf Rassisten wie ein Katalysator +++ AfD: EM instrumentalisieren +++ Antisemitismus +++ Streit überall - nicht mal den Brexit kann man geschlossen feiern +++ Homosexuelle ins Gefängnis und andere krude Thesen von AfD-Funktionär_innen +++ Pegida-Pressesprecherin Kathrin Oertel bewirbt sich bei der AfD Sachsen-Anhalt +++ Alice Weidel: Das andere Gesicht der AfD +++ Neues von Alfa oder so ähnlich +++ Themen des Monats: Ossis gegen Amis, Die Aufmerksamkeits-Provokation, Blogger-Bullshit, Stammtisch vs. Volksabstimmung.

 

Von Simone Rafael

 

Pegida

 

Pegida zerlegt sich, wo es groß wurde: In Internet

Streit im Pegida-Führungslager: In den Sozialen Netzwerken, besonders auf Facebook, hagelt es Anschuldigungen. Edwin Wagensveld, in der Szene nur "Ed, der Holländer", postet auf Facebook einen giftigen Kommentar: Die Leute von "Pegida" hätten ihre Frontfrau Tatjana Festerling fertiggemacht, sie eine "spaltende Selbstdarstellerin" genannt. "Eine Tirade aus Lügen, Unterstellungen und Verleumdungen folgte." Festerling, einst Hamburger AfD-Politikerin, habe ein Redeverbot bekommen, sei von der Bühne gejagt und aus dem Verein ausgeschlossen worden. Wagensveld, Mitstreiter im islamfeindlichen Bündnis der "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes", nennt keinen Namen. Doch klar ist: Gemeint ist Pegida-Gründer Lutz Bachmann. Bachmann und Co. schießen zurück in Richtung Festerling, auch über Facebook. Die habe sich nicht an Grundsätze des Vereins gehalten, keine Absprachen getroffen, auf eigene Faust agiert – und werde erst jetzt vom "Orga-Team" von Pegida ausgeschlossen. Einen Tag später reagiert Festerling. Ihre Facebook-Überschrift: "Bachmann lügt". Drei Tage, drei Veröffentlichungen aus dem Inneren der Bewegung, darunter jeweils Hunderte Kommentare von Pegida-Anhängern und Gegnern. Das Bündnis trägt Wut und Hetze von ihrer Dresdner Bühne ins Internet. Es wird beleidigend, verschwörerisch. Wer arbeitet für den Verfassungsschutz? Wo landen die Spendengelder, die Pegida Montag für Montag sammelt? Es tritt nach außen, was sich seit einigen Monaten abzeichnet: Pegida ist zerstritten, mal wieder. Lutz Bachmann und Tatjana Festerling standen lange gemeinsam auf der Bühne. Nun ist der Bruch da, Festerling hat auf der "Pegida"-Bühne Hausverbot und wird aus dem Verein ausgeschlossen (Berliner MorgenpostBILDZEIT). Pegida und Legida haben auch miteinander gebrochen (Jungle World).

Amüsant dazu: #PegiWars: Unsere Top-11-Kommentare zum Pegida-Streit beim Flurfunk Dresden. Die Redaktion hat sich in die Kommentare bei Facebook gewühlt. Unsere Favoritenliste dokumentieren wir hier. Quellen sind die Kommentarspalten auf der Facebook-Seite von Pegida und dem FB-Profil von Tatjana Festerling. Alle Kommentare wurden zwischen dem 15. und 18.6.2016 hinterlassen und von uns via Screenshot festgehalten. Dabei sind Blüten wie "Ich kann bestätigen das Lutz kein V-Mann ist. Aber er wird finanziert von Frau Friede Springer." Pegida-Fans scheinen solche Verschwörungstheorien (und schlimmere) total plausibel. Wow.

 

Warum für Pegida und andere Rechtspopulisten das Internet so wichtig ist

Kommunikationswissenschaftler Julian Ausserhofer, Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft: „Das Internet ist für solche Gruppierungen sehr wichtig. Bei Pegida ist vor allem die Facebookseite von großer Bedeutung. Zum Beispiel für die Planung der wöchentlichen Treffen. Sie bietet eine Möglichkeit zur Kommunikation, die offline nicht vorhanden wäre.“ Dagegen hätten die klassischen politischen Parteien bereits eine Organisationsstruktur und zögen das Internet lediglich hinzu. Die beiden Wissenschaftler untersuchen vor allem die Facebookseiten und Twitteraccounts der rechtspopulistischen Bewegungen sowie Blogs, die deren Initiatoren und Unterstützer betreiben. Pegida und seine europaweiten Ableger sind dabei nur ein Beispiel.  „Die Facebook-Seite von Pegida verzeichnet zum Beispiel eine sehr große Aktivität. Im Zeitraum von etwa einem Jahr haben wir dort etwa eine halbe Million Kommentare verzeichnet – und das bei nur einigen tausend Postings der Organisation“, sagt Co-Forscher Cornelius Puschmann. Die Forscher untersuchen ebenfalls, welche Nutzer Beiträge besonders aktiv kommentieren – und haben eine interessante Entdeckung gemacht: „Wer online viel kommentiert, ist nicht zwangsläufig auch im realen Leben bei vielen Aktionen von Pegida dabei. Die Aktivität im Online- und Offline-Leben verläuft nicht geradlinig“, erklärt Puschmann. Zudem haben die Forscher untersucht, wie sich Anhänger und Gegner der Gruppierungen informieren. Sie stellten fest, dass sich die Quellen kaum überschneiden. „Das erklärt, warum eine Gesellschaft so polarisiert ist: Gegner und Befürworter der Bewegungen konstruieren ihre Realität aus unterschiedlichen Quellen“, sagt Ausserhofer. Die Forscher wollen zusätzlich Recherchen vor Ort machen. „Bald sind wir in Dresden und wollen auch mit den Facebookseiten-Betreibern sprechen.“ (Berliner Zeitung)

 

Gida und Polizei:

  • 48-jähriger "Legida"-Teilnehmer Peter K. beschimpft Leipzigs Polizeichef Bernd Merbitz: "Verrecke, Du Kommunistenschwein" - 1.600 Euro Strafe (LVZ)
  • Ex-Pogida-Chef Christian Müller muss sich nicht für Volksverhetzung verantworten; Staatsanwaltschaft fand die Aussage, Müller fordere ein "Nürnberg 2.0", wo Volksverräter abgeurteilt werden sollten, keinen Aufruf zur Gewalt.  Der Bundestagsabgeordnete, der Müller angezeigt hatte, sieht in dem Ausspruch allerdings weiterhin die Relativierung von NS-Kriegsvebrechen und Diffamierung der Bundesregierung, die damit als "Kriegsverbrecher" bezeichnet werden analog der Nürnberger Prozesse gegen NS-Kriegsverbrecher (maz). Was für ein freundlicher Mensch Müller ist, zeigte sich wieder einmal wenig später, als er seine Freundin im Rausch auf offener Straße verprügelte. Die Polizei ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung, nüchtert ihn aus. Stunden später ruft er, erneut betrunken, bei der Polizei an und will eine Demonstration anmelden. Allerdings war er so besinnungslos betrunken, dass er nicht einmal ein Motto angeben konnte (pnn).

 

Demonstrationen
 

Legida läuft wieder

06.06.2016, erste Demo nach mehreren Wochen Pause, 450 Teilnehmende, mit Tatjana Festerling, die sagte: Rechts sei der neue Megatrend und die Zukunft Europas. Ebenfalls 450 bei den Gegenprotesten (Sachsen-Fernsehen)

 

Pegida Dresden

  • 13.06.2016: Lutz Bachmann kündigt eine Telefonhotline für Pegida-Termine an, damit auch Menschen ohne Internet Informationen bekommen können; 2.300 Teilnehmer_innen (SZ). Nach der Demo werden mehrere Pegida-Anhänger sind am Montagabend in Dresden nach einer Kundgebung vermutlich von Gegnern des islam- und fremdenfeindlichen Bündnisses angegriffen worden - teils mit einer Eisenstange. Zwei 56 und 62 Jahre alte Männer wurden dabei leicht verletzt, wie die Polizei am Dienstag mitteilte (mdr).
  • 20.06.2016: Lutz Bachmann stellt nach Ausschluss von Tatjana Festerling aus dem "Pegida"-Führungskreis seinen Anhängern die Vertrauensfrage - per Handzeichen. Ein Großteil der Teilnehmenden tat das auch. Zugleich wies Bachmann den von Festerling gegen ihn erhobenen Vorwurf eines laxen Umgangs mit Spenden zurück (SZmopo24)
  • 27.06.2016 „HKN KRZ“ – Hakenkreuz in sechs Buchstaben - verboten oder nicht? Bei der "Pegida"-Demonstration (2.300 TN) nimmt die Polizei die Personalien eines Mannes auf, der ein T-Shirt mit "HKN KRZ" trägt - stellt dann aber fest, dass das nicht strafbar sei. Allein deshalb kommen die T-Shirts in der Rechtsaußen-Szene gerade sehr in Mode (TagesspiegelSZ)

 

Linnich (NRW): "Bürger stehen auf"

26.06.2016, Demo mit 60 Teilnehmenden, Rechtsextreme und Hooligans, Redner_innen: NPD-Politikerinnen Ricarda Riefling und Jacky Süßdorf; Alexander Kurth ("Die Rechte" Sachsen und Mitwirkender von "Thügida" und "Legida"): Medienvertreter_innen als "Prostituierte des Systems", die sich vom "Brot der Lügen" nähren und daran ersticken sollten (bnr).

 

„Allgida“ reloaded?

Zwei Versuche, eine "Allgida"-Demonstration im Allgäu auf die Beine zu stellen, scheiterten. Nun sollen "Allgida"-Fans zumindest eine "Kein Platz für Rassismus"-Veranstaltung stören (Störungsmelder)

 

Pegida Dreiländereck läuft nicht

sondern wird in Muttenz (Schweiz) von der Polizei gestoppt am 18.06.2016 (20Min).

 

Erfolglose Anti-Drogen-Demo von Pegida-Mitbegründer René Jahn

Drogen sind offenbar kein dringliches Problem für Dresdner Rechtspopulisten: Zur zweiten Demo "Keine Drogen in Dresden" von Pegida-Mitbegründer René Jahn kamen nur rund 35 Teilnehmer für das erklärte Ziel „Dresden wird die sicherste Stadt Deutschlands“ an. Vor wenigen Wochen waren noch etwa 80 in gelben Warnwesten aufgetaucht. Jahn wertete die Teilnahme als „ernüchternd“ und erklärte gegenüber der SZ: „Es gibt noch genug Themen hier, wir machen auf jeden Fall weiter.“ (SZ)

 

„Sachsen rechts unten 2016“: Pegida wirkt auf Rassisten wie ein Katalysator

Neue Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Kulturbüros Dresden: Die am Donnerstag in Dresden vorgestellte Untersuchung mit dem Titel „Sachsen rechts unten 2016“ beschreibt die im Herbst 2014 gegründete Bewegung angeblich patriotischer Europäer als mittlerweile „völkisch rassistisch“ und „gefährlich“, weil sie den Umbau der Gesellschaft in ihrem Sinne plane. Von Pegida gehe „direkt Gewalt“ aus. Auf Neonazis und andere Rassisten habe Pegida gewirkt „wie ein Katalysator, der zu weiteren Aktionen und bei anhaltendem Nichterfolg auch zu Gewalt anspornt“ (vgl. ksta.deBroschüre hier als pdf)

 

AfD

 

EM instrumentalisieren

  • Alexander Gauland hetzt gegen Jerome Boateng (t-online) (vgl. FgN)
  • Dabei wollen selbst 88 Prozent der AfD-Wähler Boateng als Nachbarn (Welt)
  • Frauke Petry hetzt gegen Mesut Özil (RP)
  • Auch Beatrix von Storch beteiligte sich noch, siehe NgN

 

Antisemitismus

 

Streit überall

  • Petry attackiert Meuthen scharf: AfD-Spitze streitet über "Causa Gedeon" (n-tv)
  • AfD-Chefs Meuthen und Petry: Die Schlammschlacht (Spiegel OnlineThüringer Allgemeine)
  • Meuthen wirft Petry Einmischung im Südwesten vor (Welt)
  • Streit auch in Sachsen-Anhalt mit Hans Thomas Tillschneider (mdr)
  • Nach dem Brexit ist die AfD komplett ratlosIn der AfD herrscht nach dem Brexit-Votum der Briten Verwirrung: Braucht auch Deutschland ein Referendum? Soll man die EU reformieren? Oder "die EU-Sklaverei" beenden? Alle reden wild durcheinander. (WeltBILDheute.de, vgl. auch ngn)
  • Protestbrief gegen Petry und Gauland von den Vorstandsmitglieder Georg Pazderski und Alice Weidel  (t-online)

 

AfD-Politiker aus Sachsen-Anhalt will Homosexuelle ins Gefängnis stecken

Im Landtag von Sachsen-Anhalt wurde darüber debattiert, ob man die Maghreb-Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklären könne, wo dort Homosexuellen doch Gefängnisstrafen drohten. AfD-Mann Andreas Gehlmann rief laut Protokoll dazwischen: "Das sollten wir in Deutschland auch machen!" (Süddeutsche).
 

Mehr krude Thesen und Aktionen

  • AfD-Chefin Frauke Petry „Der Islam hat westliche Gesellschaften als Feindbild“ (Berliner Zeitung)
  • Nordrhein-Westfalen: AfD sperrt Journalisten von Parteitag aus (Spiegel Online); legal ist das nicht (Handelsblatt)
  • Frauke Petry ätzt: Es gibt zu viele Schwule im Fernsehen (mopo)

 

Pegida-Pressesprecherin Kathrin Oertel bewirbt sich bei der AfD Sachsen-Anhalt

Die Pegida-Mitgründerin Kathrin Oertel sucht laut Medienberichten einen Job bei der AfD in Sachsen-Anhalt. Sie habe sich bei der Landtagsfraktion als Mitarbeiterin beworben, bestätigte Fraktionschef André Poggenburg der "Magdeburger Volksstimme". Über die Besetzung der Posten im Fraktionsbüro in Magdeburg sei aber noch nicht entschieden worden. Oertel sei eine sehr passende Bewerberin, politisch engagiert und "ganz nah bei uns", sagte Poggenburg dem Bericht zufolge (Welt).

 

Kampf gegen Brüssel: AfD-Jugend knüpft Netzwerk zur europäischen Rechten

z.B. zur Jungen Garde“, der Parteijugend von Präsident Wladimir Putins Partei „Einiges Russland“, zur FPÖ-Jugend,  zur Jungen Schweizerischen Volkspartei (JSVP) und zur Jugend der immigrationsfeindlichen Schwedendemokraten (Ungsvenskarna). Außerdem trat die "Junge Alternative (JA" dem Netzwerk „European Young Conservatives“ bei, dem mittlerweile nationalkonservative Jugendorganisationen aus 22 Staaten angehören, darunter Großbritannien, Italien, Polen, Norwegen und Tschechien. (FAZ)
 

EU-AfD bei Rechtsaußen-Geburtstagsfeier

Die EU-Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“ (ENF) feierte am Freitag in Wien mit einem „Patriotischen Frühling“ ihr einjähriges Bestehen. Mit dabei beim Stelldichein europäischer Rechtsausleger waren neben der Parteispitze der gastgebenden FPÖ die Front National-Chefin Marine Le Pen sowie führende Funktionäre der AfD (bnr).

 

Alice Weidel: Das andere Gesicht der AfD

Alice Weidel ist sympathisch, gebildet und macht kein Geheimnis aus ihrer Homosexualität. 2013 ist sie der deutschen AfD beigetreten. Sie sagt, ihr Ziel sei eine liberal-konservative Partei mit mehr Selbstreflexion. 37 Jahre alt. Promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin, hat ihre Doktorarbeit über das chinesische Pensionssystem geschrieben, war für Goldman Sachs tätig sowie an der Gründung einiger internationaler Start-ups beteiligt. Sie bezeichnet sich selbst als "Ur-Liberale". Heute sitzt Alice Weidel in der deutschen AfD und hat sogar am Parteiprogramm mitgeschrieben. Zusammen mit umstrittenen Politikern wie Alexander Gauland, Björn Höcke oder Beatrix von Storch rechtfertigt sie sich für das "Monster, das erschaffen wurde". Gemeint ist: Das Monster AfD - wie der mittlerweile ausgetretene AfD-Bühnenredner Hans-Olaf Henkel zu dem Zusammenschluss sagt, der heute Stimmen bis tief hinein in die Mitte aus dem Volk erhält (kurier.at)

  
AfD und Identitäre Bewegung: Die Stunde der „Neuen Rechten“

Führende AfD-Funktionäre warnen in einem offenen Brief vor einem Einsickern von Rechtsextremen in die Partei – und grenzen sich scheinbar von der „Identitären Bewegung“ ab. Doch das ist nichts als Fassade: Zwischen der Partei und der „Neuen Rechten“ gibt es zahlreiche Verbindungen, berichtet Cicero.

 

Alfa oder so

  • Lucke-Partei: Ulrike Trebesius soll neue Alfa-Chefin werden, Bernd Lucke will den Parteivorsitz abgeben (RP)
  • Alfa darf die Partei allerdings nicht mehr heißen: Das Landgericht Augsburg (Urteil vom 24.05.2016, Az. 91 O 3606/15) hat entschieden, dass der AfD-Mitbegründer Bernd Lucke den Namen seiner neue Partei „Allianz für Fortschritt und Aufbruch “ nicht mit dem Wort Alfa abkürzen darf (wbs-law.de)

 

Themen
 

Ossis gegen Amis

Vom SED-Staat bis Pegida: Wie sich der Osten mit Antiamerikanismus hervortut. Von "Pegada" und anderen Amerikahasser_innen (Die ZEIT)
 

Provozieren, relativieren, dementieren

AfD-Spitzenpolitiker erregen gern mit extremen Positionen Aufmerksamkeit. Anschließend folgt stets das Dementi: Man sei falsch verstanden worden. Die Masche hat Methode (Die ZEIT).
 

Diesen Bullshit von Rechtsaußen können wir so nicht stehen lassen

Danke dafür: Bento beantwortet generalisierende, flüchtlingsfeindliche Thesen von Bloggerin Anabel Schunke.

 

Brexit: Wenn Politik am Stammtisch entschieden wird

Und dann kommt es in Großbritannien zum Brexit, zur politischen Entscheidung wider Fakten und Wissen, zum Sieg der Rechtspopulisten, die sich Tage später, wohl erschreckt über den eigenen Erfolg, aus der Verantwortung zu stehlen versuchen. Rechtspopulist_innen in ganz Europa freuen sich (vgl. taz) - und in Deutschland auch (wenn auch nicht einheitlich, siehe AfD) (vgl. ngn).

Hier eine Analyse von Tanja Dückers: Mit Parolen, Drohungen und Lügen haben Populisten die Entscheidung über den Brexit beeinflusst. Bei einem so komplexen Thema hätte es kein Referendum geben dürfen (ZEIT online).

 

Streitkultur: Wir müssen reden, Leute

Unter der großen Koalition hat Deutschland das Streiten verlernt. Dabei ist das beste Mittel gegen Rechtspopulismus, öfter einmal querzudenken.
Ein Gastbeitrag von Heiko Maas in der ZEIT.

 

Mehr Menschenfeindlichkeit aktuell, Juni 2016:

 

| Menschenfeindlichkeit Juni 2016: Rassismus und Feindlichkeit gegen Flüchtlinge
| Menschenfeindlichkeit Juni 2016: Antisemitismus
| Menschenfeindlichkeit Juni 2016: Homofeindlichkeit und Sexismus
| Menschenfeindlichkeit Juni 2016: Islamfeindlichkeit
| Menschenfeindlichkeit Juni 2016: Rechtspopulismus - AfD und Pegida
| Menschenfeindlichkeit Juni 2016: Internet

Alle Artikel zum Thema

| AfD
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Pegida, quo vadis? Heute: Thüringen

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Bei "Thügida" stellte sich die Frage "Besorgte Bürger_innen, mit denen man in den Dialog kommen muss?", weniger. Die Ausrichtung ist klar. Hier am 20.04.2016, Hitlers Geburtstag, in Jena.
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Flickr.com / Creative Commons / Caruso Pinguin / CC by-nc / 4.0
https://www.flickr.com/photos/110931166@N08/26488848891/in/photolist-GmJgVe-FyMnZ7-F4DpvX-F4sGCW-FYUhUp-FyMH1d-FWB4jW-F4CS4Z-FT2Tck-FQHLf3-FQHLP9-F4s3mf-F4s1gJ-FYTKcr-FQHMG1-FYTGdF-FT2VT2-FWAKHo-FxhMtZ-FYUfVz

In Thüringen gab es "Sügida" und "Thügida" - und beide waren fest in rechtsextremer Hand. Statt um Islamfeindlichkeit ging es um Flüchtlingsfeindlichkeit. In einer losen Serie betrachtet die Amadeu Antonio Stiftung auf netz-gegen-nazis.de die "Gidas" der Bundesländer - auch unter Gender-Aspekten.
 

Oliver Saal interviewte zu Situation in Thüringen einen Mitarbeiter des Vereins „Mobit – Mobile Beratung in Thüringen – Für Demokratie – Gegen Rechtsextremismus“.
 

Gibt es in Thüringen regelmäßig Aufmärsche eines Pegida-Ablegers?

Den Versuch, in Thüringen einen „Pegida“-Ableger zu etablieren, beobachten wir seit Anfang des Jahres 2015. Es handelt sich allerdings nicht um einen offiziellen „Pegida“-Ableger. Stattdessen haben Thüringer Neonazis versucht, zunächst als „Sügida“ vom „Pegida“-Hype zu profitieren und die Menschen unter diesem Label zu mobilisieren. Das Projekt hat Vorläufer in Anti-Asyl-Protesten, die seit 2013 immer mal wieder lokal in Thüringen aufgetaucht sind. Die wurden von den gleichen Neonazis organisiert. Anfang des Jahres 2015 entstand dann „Sügida“ – „Südthüringen gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Zehn Wochen am Stück fanden Kundgebungen in Suhl statt, teils mit anschließenden Demonstrationen. Danach wurde das Konzept auf ganz Thüringen ausgeweitet: „Sügida“ firmiert seitdem als „Thügida“.
 

Wer sind die Organisatoren von „Thügida“?

Die Organisatoren von „Thügida“ sind alle überregional bekannte, aktive und vernetzte Neonazis der verschiedenen Bewegungsströmungen. Zu ihnen gehören Thommy Frenck vom „Bündnis Zukunft Hildburghausen“, der Neonazis und Ex-NPD-Funktionär David Köckert, Patrick Schröder – Geschäftsführer der Bekleidungsmarke „Ansgar Aryan“ – oder Axel Schlimper aus dem Umfeld des Holocaust-Leugner-Netzwerkes „Europäischen Aktion“. Angemeldet wurden die Demos aber zunächst von einer eher Unbekannten: Yvonne Wieland.
 

Sie war vorher nicht als Funktionärin bekannt? Wollten die Nazis hier eine Strohfrau einsetzen, um ihre Aktionen nicht unmittelbar mit der Neonazi-Szene in Verbindung zu bringen?

Yvonne Wieland war uns vorher durchaus schon ein Begriff. Sie ist in die extrem Rechte Szene eingebunden, war aber bisher nicht Führungsfrau bekannt. Sie war keine Strohfrau, sondern besaß durchaus Szenekontext, aber eben nicht als Funktionärin.
 

Gibt es auch Frauen, die als Rednerinnen auftreten?

Frauen sind immer wieder Rednerinnen, die Führungs- und Organisationsriege ist aber klar männlich geprägt.
 

Welchen zeitlichen Verlauf nahmen die Proteste von Suhl an? Wie viele Menschen nehmen an den Demos teil?

Seine vorläufige Hochphase hatte „Thügida“ zu der Zeit, als die Kundgebungen noch wöchentlich in Suhl stattfanden. Dort haben sich jedes Mal zwischen 500 und 1.000 Teilnehmer_innen eingefunden. Anfangs waren auch viele Menschen dabei, die wir nicht der extrem rechten Szene zuordnen – auch wenn bereits hier die Neonazis in der Überzahl waren.

Nachdem auch die lokale Presse in Südthüringen über den extrem rechten Hintergrund der Veranstalter_innen informiert hat, sind die Teilnehmer_innenzahlen schnell zurückgegangen. Seitdem die Neonazis dann wieder mehr oder weniger unter sich sind, gibt es auch deutlichere Bekenntnisse zur Naziszene: Redner_innen werden mit ihrem Partei- oder Organisationshintergund vorgestellt. Auch eine verbale Radikalisierung geht damit einher: Angela Merkel wird als Jüdin bezeichnet und das Wort „Rasse“ unverblümt von Redner_innen verwendet.

Was passierte nach der Lösung vom stationären Konzept, kamen immer die gleichen Leute zu wechselnden Kundgebungsorten?

Nach dem Wechsel auf wechselnde Kundgebungsorte sind die Teilnehmer_innenzahlen noch einmal zurückgegangen, haben aber von Veranstaltung zu Veranstaltung deutlich variiert. Insgesamt war thüringenweit nach einer Zeit bekannt, dass es sich um eine neonazistische Demonstration handelt. Daher erreichte Thügida eigentlich nirgends dauerhaften Anschluss an die bürgerliche Mitte. Ihren quantitativen Höhepunkt erreichten die „Thügida“-Proteste in Altenburg. 2.300 Menschen schlossen sich Mitte Oktober 2015 einer Demo an, bei der David Köckert und Christian Bärthel als Redner auftraten. Kurze Zeit später gründeten dann lokale Akteure mit dem „Altenburger Bürgerforum“ eine eigene Struktur, die sich von Neonazis distanziert. Hier sind dann eher Akteure aus dem Umfeld der „Neuen Rechten“, des „Compact“-Magazins und ähnlichen Akteuren aktiv. Diese Struktur schafft es für ihre Veranstaltungen bereits seit längerem, einige hundert Menschen zu mobilisieren.
 

Wer protestiert in Thüringen unter dem Label „Thügida“?

Ganz deutlich können wir unter den Demonstranten einen Männerüberschuss ausmachen. Im Unterschied zum „Dresdner Original“ von „Pegida“ handelt es sich bei „Thügida“ aber nicht um überwiegend alte Herren, sondern entsprechend der Struktur der Neonaziszene vor allen Dingen um jüngere Männer.
 

Welche Inhalte spielen bei den „Thügida“-Demonstrationen eine Rolle?

Das Thema, das die Kundgebungen klar bestimmt, ist Asyl und Einwanderung, nicht etwa, wie es der Name des Bündnisses nahelegen würde, „Islamisierung“. Die Neonazis behaupten, das deutsche Volk würde durch Einwanderung Schaden nehmen, es würde seitens der Politik der gezielte Plan verfolgt, es auszutauschen und zu ersetzen. Einwanderer wären für die Zerstörung der deutschen Kultur und Identität verantwortlich.

Wir können außerdem einen starken Einschlag antisemitisch geprägter Verschwörungstheorien ausmachen: Ein Redner sprach beispielsweise von einem auf 100 Jahre ausgelegten Plan, die europäische Rasse durch eine „asiatisch-negroide Mischrasse“ auszutauschen. Verbunden werden diese rassistischen Interpretationen mit dem Aufruf, Widerstand gegen die deutsche Bundesregierung zu leisten und sie im Zuge einer Revolution zu stürzen. Das gipfelt in der Parole „Aus wenigen werden viele, aus vielen eine Bewegung, aus der Bewegung eine Revolution“.

Ich glaube, man muss sich klar machen, dass Thüringen aus der Sicht der Neonazis eine Sonderstellung einnimmt, denn hier sind aus ihrer Perspektive Kommunisten an der Macht – in Form der rot-rot-grünen Landesregierung und mit einem „Die Linke“-Ministerpräsidenten.
 

Werden auch regionale Themen aufgegriffen? Geht es zum Beispiel auch um lokale Vorfälle oder konkrete Flüchtlingsunterkünfte?

Ja, zum Beispiel gab es in Suhl in der Erstaufnahmeeinrichtung auf dem Friedberg eines Abends eine größere gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Bewohner_innen. Sügida hat einen vermeintlichen Anwohner vom Friedberg präsentiert, der sich als unbeteiligtes Opfer der Auseinandersetzung zwischen Flüchtlingen ausgab. Er konnte im Nachgang der Neonazi-Szene zugeordnet werden. Solche vermeintlich spontanen Anwohner_innenbeiträge gab es zu Beginn von Thügida öfter. Mit der Zeit hat das aber nachgelassen, geredet wird inzwischen eigentlich immer von einer Gruppe von nicht mehr als einer Handvoll fester Redner_innen, alle aus dem Organisationsteam.
Auch inhaltlich ging damit ein Zusammenschrumpfen auf den Kern der Szene einher, der Versuch, sich einen bürgerlichen Anstrich zu geben, wurde relativ schnell aufgegeben, die Reden und Parolen wurden offener rassistisch und antisemitisch.
 

Welche Rolle spielen die sozialen Netzwerke für die Mobilisierungen von „Thügida“?

Facebook hat für die Organisation und Verbreitung der „Thügida“-Proteste eine zentrale Funktion. Wir konnten beobachten, wie in so gut wie allen Städten, in denen „Thügida“-Demos vorbereitet wurden, Facebook-Gruppen und –fanseiten aufgetaucht sind, die Namen trugen wie „Wir lieben Gera“. Diese Gruppierungen waren zumeist dem Thügida-Umfeld zuzuordnen. Für so gut wie jede Stadt, in der Demonstrationen statt fanden, gab es diese Doppelstruktur: Einerseits die öffentliche Facebookseite, auf der die Proteste angekündigt und beworben wurden, in der aber auch generell flüchtlingsfeindliche Inhalte präsent waren, andererseits eine interne Gruppe, in der sich „Thügida“-Kader und lokale Organisator_innen ausgetauscht haben.
 

Wie schätzt du die Bedeutung von „Thügida“ für flüchtlingsfeindliche Mobilisierungen in Thüringen ein?

„Thügida“ hat es mit seiner Organisationsstruktur geschafft, thüringenweit die flüchtlingsfeindlichen Proteste in neonazistische Hände zu bringen – wie sich das sehr gut in Gera, Greiz und im Saale-Holzlandkreis um Jena beobachten lässt. Das liegt auch daran, dass die Organisator_innen bereit waren, territoriale Zugeständnisse an andere szeneinterne Flügel zu machen: In Eisenach zum Beispiel gibt es keine „Thügida“-Proteste, weil hier die NPD traditionell stark vertreten ist und mit Patrick Wieschke über eine bundesweit bekannte und vernetzte Figur verfügt. Der NPD wird also in Eisenach das Feld überlassen.
 

Wie wird bei den Aufmärschen Geschlecht inszeniert?

Das Bild von Geschlecht, dass während Reden und im ganzen Habitus der Männer evoziert wurde, soll sagen: „Wir sind die Kämpfer für Deutschland“, begleitet von einer militärischen Metaphorik. Frauen kommen in dieser Logik eigentlich nur als zu schützende Objekte vor, deshalb wurden während der Reden auch sehr häufig vermeintliche Übergriffe von Migranten  auf „deutsche Frauen“ thematisiert. Etwas überrascht waren wir deshalb auch, dass „Thügida“ nach den Vorfällen der Silvesternacht in Köln keine neue Dynamik entfalten konnte, weder in der Mobilisierung rassistischer Bürger noch szeneintern.
 

Wie liefen die Gegenproteste ab?

Die Gegenproteste fielen je nach Kundgebungsort sehr unterschiedlich aus, nicht nur was die Teilnehmer_innenzahl anging, sondern auch in der Form des Protests. Gerade in der Anfangsphase von „Sügida“ in Suhl waren die Nazis gegenüber den Gegendemonstranten öfter in der Überzahl, was neben den „Pegida“-Demos in Dresden deutschlandweit einzigartig war. Das hatte natürlich einen stark demotivierenden Effekt auf diejenigen, die trotzdem dagegen protestieren wollten. Hier hat sich ganz deutlich gezeigt: Zivilgesellschaftlicher Protest lebt auch von Erfolgserlebnissen.

Woran lag das?

In vielen Städten und Dörfern war die Zivilgesellschaft gerade in der Phase ab Spätsommer 2015 einfach überlastet: Die aktiven Bürger waren schlicht damit beschäftigt, ankommende Geflüchtete zu versorgen. Da fehlten dann vor Ort ganz schnell die Ressourcen, auch noch schlagkräftige Gegenproteste gegen rassistische Aufmärsche zu organisieren. In anderen Orten wurde auch ganz und absichtlich auf Gegenproteste verzichtet, weil es „Thügida“ nicht einmal gelang, 50 Leute zu mobilisieren. Immer dann, wenn sich in „Thügida“ in größere Städte wie das studentisch geprägte Jena getraut hat, dann lag die Zahl der Gegendemonstrant_innen weit über derjenigen der „Thügida“-Anhänger_innen.
 

Welches Konzept hat sich für Gegenproteste als besonders erfolgreich erwiesen?

Letztendlich gibt es für erfolgreiche Gegenproteste kein Patentrezept, es kommt immer sehr darauf an, wie die Zivilgesellschaft vor Ort aufgestellt ist. Aus meiner Sicht hat es sich aber als wichtig erwiesen, möglichst breite gesellschaftliche Bündnisse zu schmieden. Wichtig ist auch: Protest soll auch Spaß machen. Und: es muss nicht immer die klassische Gegenkundgebung in Sichtweite der Neonazis sein. Gerade wenn sie über Wochen hinweg immer in der gleichen Kleinstadt mit überschaubarer Gegenwehr demonstrieren, kann es auch mal sinnvoll sein, einen Abend mit Vorträgen, Musik und Filmen als Gegenaktion zu gestalten, der den Protestierenden wieder Kraft gibt.

 

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Pegida, quo vadis? Heute: Braunschweig, Niedersachsen

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Kleine Gruppe hinter dem bekannten "Pegida"-Banner: "Bragida" in Braunschweig am 30. Mai 2016
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Flickr.com / DokuRechts
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Seit Januar 2015 finden in Braunschweig nahezu wöchentlich, meist montags, „Sparziergänge“ des örtlichen „Pegida“-Ablegers „Bragida“ statt - und der ist langlebig, wenn auch ohne große Zustimmungszahlen. In einer losen Serie betrachtet die Amadeu Antonio Stiftung auf netz-gegen-nazis.de die "Gidas" der Bundesländer - auch unter Gender-Aspekten.
 

Mit dem Journalisten und Sprecher des „Bündnisses gegen Rechts Braunschweig“, David Janzen, sprach Jan Riebe  über „Bragida“.

 

Finden in Braunschweig noch Demonstrationen von „Bragida“ statt?

Ja, „Bragida“ gibt es noch. Inzwischen haben über 60 solcher „Spaziergänge“ stattgefunden. Allerdings hat sich der Charakter deutlich verändert. Der erste „Sparziergang“ von „Bragida“ im Januar 2015 war zugleich auch der größte. Es kamen rund 450 Anhänger_innen, aber auch nahezu 10.000 Gegendemonstrant_innen. Aufgrund der Masse der Gegendemonstrant_Innen konnten Sie keinen Aufzug durchführen und nur eine Kundgebung abhalten. Beim 2. Mal waren es nur noch 320 Personen, die sich an der „Bragida“-Kundgebung beteiligten, auch hier gab es wieder Massenblockaden. Danach pendelte sich die Teilnehmer_innenzahl recht bald auf rund 60 Personen ein. Mal waren es ein bisschen über hundert, mal nur 30. Ab dem Sommer 2015 waren es dann meist nur zwischen 20 und 40 Personen, mit leicht abnehmender Tendenz. Bis heute gibt es aber immer noch Gegenproteste von deutlich mehr Menschen, zuletzt waren es immer so zwischen 60 und 120 Menschen, die jeden Montag gegen die Auftritte von BRAGIDA protestieren.

 

Und wer demonstriert dort?

Das Spektrum der Personen bei „Bragida“ hat sich im Laufe der anderthalb Jahre durch das Schrumpfen verändert. Anfangs waren auch viele Jüngere dabei. Also eher so rechtsorientierte Jugendliche, die nicht in Strukturen eingebunden waren. Außerdem viele Personen  aus den Mischszenen von subkulturellen orientierten Neonazis, Rockern, Hooligans mit Überschneidungen zu Sicherheitsfirmen. Es gab da auf der einen Seite viele, die zwar diffuse rechte, nationalistische und rassistische Einstellung haben, aber vorher meist nicht politisch aktiv waren. Dann waren da Personen aus der organisierten rechten Szene, und auch Menschen aus rechtspopulistische oder rechtskonservativen Gruppierungen und Parteien.

Bei der ersten Versammlung von „Bragida“ war etwa der bekannte Rechtsextreme Dieter Riefling da, oder der NPD-Ratsherr Friedrich Preuß aus Helmstedt, außerdem Aktivisten der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten (JN)“, der Partei „Die Rechte“, dazu ehemalige Aktivisten der verbotenen Gruppierung „Besseres Hannover“ und "HoGeSa"-Anhänger aus ganz Niedersachsen, außerdem auch Anhänger der AfD. Es war zunächst ein ziemliches Sammelsurium von Leuten, deren Klammer vor allem der antimuslimischen Rassismus war.

Den organisierten Neonazi-Gruppen ist es in Braunschweig zuvor nie gelungen, über ihre direkten Anhänger hinaus ein sympathisierendes Umfeld auf die Straße zu bringen. Das Neue und Gefährliche war also, dass hier tatsächlich nicht nur die klassische rechte Szene auftrat, sondern auch Menschen, die zuvor nie zu politischen Aktionen zu mobilisieren waren. Im Unterschied zu Dresden war das Bild aber weniger von gutbürgerlichen Personen geprägt. Die ersten „Spaziergänge“ erinnerten mehr an “HoGeSa“-Versammlungen oder Neonaziaufmärsche und waren auch von einer sehr aggressiven Stimmung getragen.

Inzwischen sind bei „Bragida“ ja nur noch 20-30 Teilnehmer_innen und meist sind das immer die gleichen Gestalten. Jetzt wird das Bild eher von Menschen im Rentenalter geprägt, die jüngeren Rechten kommen nur noch vereinzelt. Weibliche Teilnehmende machen aktuell rund ein Drittel aus. Damit sind sie inzwischen stärker wahrnehmbar als zu den „Hoch-Zeiten“ von „Bragida“. Nach außen hin, ist das Erscheinungsbild jetzt eher „bürgerlich“, vom Inhalt ist das Ganze aber immer noch geprägt vom Hass gegen Linke, Muslime, Flüchtlinge, demokratische Politiker_innen und Journalist_innen geprägt. Es  fallen immer wieder Schlagwörter der Neuen Rechten, der Identitären Bewegung, der Reichsbürger oder auch der Neonazis.

 

Stimmt es, dass Lutz Bachmann die Demonstrationen anmeldet?

Die Anmelder haben mehrmals gewechselt. Prominentester Anmelder war für einige Wochen tatsächlich Lutz Bachmann persönlich. „Bragida“ sah sich von der Polizei und der Versammlungsbehörde wohl nicht genug ernst genommen, daher hoffte man, mit einem Lutz Bachmann als Anmelder mehr Respekt zu bekommen. Sonst war er nicht vor Ort, denn nur der Versammlungsleiter hat die Pflicht, zu erscheinen. Einmal trat Bachmann auch als Redner auf, aber auch das brachte kaum Zulauf. Es kamen trotz diesem prominenten Redner nur 120 Teilnehmer_innen. Bei der Gegenkundgebung des „Bündnisses gegen Rechts“ waren dagegen 1.200 Menschen. Ab da war eigentlich klar, dass „Bragida“ gescheitert ist und bis auf einen kleinen Kern von Anhänger_innen keine Anziehungskraft mehr entfalten würde.

Interessant ist, dass einer der Organisatoren der ersten geplanten Versammlung zunächst aus der Rocker-Szene kam. Da gibt es vermutlich direkte Kontakte zu Siegfried Däbritz von „PEGIDA“ in Dresden. Dann wurde die Anmeldung wieder zurückgezogen, wohl auch auf Druck der Behörden.

Danach trat mit Sebastian Rinke aus dem Harz ein Anmelder auf, der kurz davor noch in der AfD war. Es gab da aber Streit über die Anmeldung und die AfD distanzierte sich davon. Dann war Annegret H. Anmelderin, die flog aber bei „Bragida“ raus, weil sie wohl allzu sehr für eine deutliche Abgrenzung zu Neonazis und gewalttätigen Hooligans eintrat. Heute wirbt sie für die AfD.

Danach trat Mirko W. als Anmelder auf, der zeigte etwa bei Facebook deutliche Sympathien für “HoGeSa“. Später wechselten die Anmelder immer mal wieder, es waren aber, mit Ausnahme von Sebastian Rinke, immer Personen, die vorher noch nicht durch politische Aktivitäten aufgefallen waren. Eine Konstante bei „Bragida“ ist Tina Müller, sie fungiert seit Beginn an als Sprecherin und ist neben den Anmeldern fast immer die Versammlungsleiterin. Sie ist sozusagen das Gesicht und „offizielle“ Sprachrohr von „Bragida“.

 

Spielt die lokale Naziszene eine Rolle bei den Demos?

Ja, aber dazu muss vorab gesagt werden, dass die regionale organisierte Neonaziszene eher sehr klein ist. Zu Beginn von „Bragida“ war vor allem die Partei „Die Rechte“ noch aktiv, die so aus 20-30 Mitglieder in der Region bestand. Nach internen Querelen existiert der „Kreisverband Braunschweiger Land“ aber nicht mehr. Derzeit ist der „JN Stützpunkt Braunschweig“ mit rund 15 Mitgliedern die einzig öffentlich wahrnehmbare neonazistische Struktur in der Stadt. Die Versammlungen von „Bragida“ zogen aber vor allem auch Neonazis aus der ganzen Region und darüber hinaus an. Diese waren damit zusammen mit „HaGida“ in Hannover ein Kristallisationspunkt der eher zersplitterten Neonazi-Szene in Niedersachsen, die zuletzt selbst kaum mehr Aufmärsche mit einer größeren Zahl von Teilnehmer_innen durchführen konnte. Da gab es auch direkte Querverbindungen ins Orga-Team von „Bragida“. Der Sohn von Tina Müller etwa war zusammen mit Aktivisten der Neonazi-Szene bei „HoGeSa“ in Hannover und nahm auch an einem „Kennenlerntreffen“ der Partei „Die Rechte“ teil. Der Impuls zur Gründung von „Bragida“ ging zum einen von Personen aus, die zuvor zu den “HoGeSa“-Versammlungen mobilisiert hatten. Dabei scheinen sich  Kontakte zu Neonazis von „Die Rechte“ ergeben zu haben, es gab auch Kontakte von einigen Personen zu Siegfried Däbritz aus Dresden. Eine Zeitlang waren auch die rechten Hooligans der “HoGeSa“-Abspaltung von „Gemeinsam Stark Deutschland“ sehr sichtbar mit Transparenten bei “BraGida“. Die kamen dann aber meist aus anderen Städten, teilweise sogar aus anderen Bundesländern angereist. Viele davon waren dann auch immer wieder bei „HaGida“ in Hannover zu sehen. Überhaupt zogen die „Spaziergänge“ vor allem Personen aus der Umgebung an, also eher aus den ländlichen Regionen und Kleinstädten. Was auffällig war: dass die organisierte Rechte sich weitgehend zurückhielt, was etwa eigene Transparente, Symbole oder Fahnen anging. Die waren zwar mit dabei, stellten z.B. auch Ordner oder durften reden, aber nach außen wurde versucht, das nicht allzu deutlich zu machen.

 

Die Naziszene war also anfänglich durchaus präsent. Gab es Abgrenzungsversuche zur Nazi-Szene durch das Orga-Team von „Bragida“?

Ja, „Bragida“ hat sich immer dann von den Neonazis distanziert, wenn deren Teilnahme in der Öffentlichkeit thematisiert wurden. Konsequenzen hatte das aber keine. Auch nach Einschätzung der Polizei war ja der überwiegende Teil der Teilnehmer_innen bei „Bragida“ lange Zeit eindeutig der „rechtsextremen Szene“ oder dem rechten Hooliganspektrum zuzurechnen. Dementsprechend waren die Abgrenzungen eher taktischer Natur. Man wollte nach außen weiter den Anschein einer „Bürgerbewegung“ aufrechterhalten, konnte oder wollte die Neonazis und die rechten Hools, die von Tina Müller gerne als „unsere Sportjungs“ bezeichnet wurden, aber weiterhin mit dabei haben. Annegret H., die am Anfang neben Müller als Sprecherin auftrat, sagt, sie wäre aus dem Orga-Team gedrängt worden, weil sie sehr vehement gegen eine Zusammenarbeit mit und Duldung von Neonazis eingetreten wäre.

Die Trennungslinie verläuft dort, wo Neonazis allzu offen auftreten oder versuchten, die Versammlungen zu übernehmen. So durfte etwa bei einer Kundgebung im Herbst letzten Jahres Johannes Welge sprechen, der damals bei der Partei „Die Rechte“ in Hildesheim aktiv war. Es ist schwer vorstellbar, dass die Organisator_innen nicht wussten, wen sie sich eingeladen hatten. Als dieser aber in der Rede ausführte, er sei „überzeugter Nationalsozialist“, entzog Tina Müller ihm das Wort. Vorher gab es aber Applaus für seine Rede.

Ein anderes Mal versuchten Personen aus dem Spektrum der NPD-Nachwuchsorganisation „Junge Nationaldemokraten“ und der Partei „Die Rechte“,  die BRAGIDA-Versammlung quasi zu übernehmen. Nachdem ihr Redner entgegen vorherigen Absprachen nicht sprechen durfte, entrollten sie demonstrativ Fahnen in den Reichsfarben Schwarz-Weiß-Rot heraus und forderten die anderen Teilnehmer_innen auf, sich ihnen anzuschließen und einen spontanen Aufmarsch durchzuführen. Dies misslang allerdings und das Dutzend bekannter Neonazis blieb unter sich, während man bei „Bragida“ betonte, ihre Farben seien „Schwarz-Rot-Gold“. Ab da war die organisierte Neonazi-Szene nur noch vereinzelt mit dabei. Für die Neonazis gibt es da auch nichts mehr zu gewinnen. Anfänglich konnten die Nazis die “Bragida“-Versammlungen ja noch nutzen, um im direkten Kontakt vor allem jüngere Teilnehmer_innen anzusprechen und neue Kontakte zu knüpfen. Es nehmen aber weiterhin auch organisierte Neonazis teil.

Anfang des Jahres trugen zwei Anhänger der JN das Fronttransparent. Als kurze Zeit später einer der beiden beschuldigt wurde, zwei Schüler angegriffen zu haben und dabei dem einen den Kiefer doppelt gebrochen zu haben, distanzierte sich Tina Müller auf einer der nächsten Versammlungen öffentlich von den beiden und sagte, man wolle die „JN“ dort nicht mehr sehen. Als die beiden ein paar Monate später wieder dort auftauchten, wurden sie von anderen Teilnehmern freundschaftlich und mit Handschlag begrüßt, durften dann aber offensichtlich nicht an der Versammlung teilnehmen. Auch inhaltlich gab und gibt es aber jede Menge Überschneidungen zu extrem Rechten und auch neonazistischen Positionen.
 

Spielt die AfD eine Rolle? Wenn ja, hat die sich verändert?

Die AfD spielt eine geringe Rolle. Anfänglich war „Bragida“ zu sehr von der Hools- und Nazi-Szene dominiert. Das widersprach dem bürgerlichen Auftreten der AfD. Jetzt ist „Bragida“ auf 30 Personen zusammenschrumpft und daher viel zu erfolglos, als dass die AfD sich hier einbringen würde. Natürlich nimmt da auch das eine oder andere AfD-Mitglied teil, aber es gibt kaum eine direkte öffentliche Bezugnahme der AfD zu „Bragida“. Das liegt aber auch daran, dass „Bragida“ einfach kein Erfolgsmodell ist. Eine zu große Nähe könnte da eher abschreckend für manch potentiellen Wähler der AfD sein. In den Redebeiträgen bei „Bragida“ wird sich aber durchaus immer wieder positiv auf die AfD bezogen.
 

Wer redet? Welche Themen werden dort in Reden, auf Plakaten benannt?

Auch bei „Bragida“ traten die „Stars“ der „Pegida“-Szene auf, wie Tatjana Festerling, Lutz Bachmann, Ignaz Bearth, Edwin Wagensveld oder Michael Mannheimer. Auch die ehemalige NPD-Funktionärin Sigrid Schüßler trat auf, sowie die ebenfalls bei „Pegida“-Demonstrationen tourenden Redner Sebastiano Graziani, Victor Seibel und Curd Schuhmacher (aka „Volxtribun“). Sie bedienen hier die gleichen Themen wie bei anderen „Pegida“-Ablegern. Daneben gab es immer wieder ein „offenes Mikro“ oder Redner_innen von vor Ort sprechen. Da fließen dann auch mal lokale Themen ein. Inzwischen sind es eine Handvoll Leute, die mehr oder weniger jedes Mal reden und oft auch fast dasselbe sagen. Insgesamt wird immer sehr viel geredet, oft dauern die Reden über eine Stunde, während der eigentliche „Spaziergang“ nur sehr kurz geht. Zuhörer_innen gibt es aber außer den wenigen Teilnehmer_innen eigentlich keine und so wird sich vor allem auch direkt an den Gegendemonstrant_innen abgearbeitet und diese dann beschimpft und beleidigt. Neben dem anfänglichen Hauptthema, die angeblich drohende „Islamisierung“ geriet auch in Braunschweig das Thema Flüchtlinge schnell in den Vordergrund. Ansonsten gibt es da ein buntes Sammelsurium an Themen und Positionen, die von der „BRD GmbH“, dem „Volkstod“, über „Chemtrails“, „GEZ Gebühren“, sinkenden Renten bis hin zu hohen „Hundesteuern“ alles abdecken, was es so an Themen der „Wutbürger“ gibt.
 

Welche “Lösungsstrategien” werden propagiert, welches Gesellschaftsbild?

Es gab keine Lösungsstrategien,  nur  klassische Schuldzuweisungen, wie  auch auf anderen „Pegida“-Aufmärschen: Schuld sind die Geflüchteten, der Islam, die Lügenpresse, die Gutmenschen. Aber auch hier ergießt man sich in Verschwörungstheorien. So beispielsweise, dass die Geflüchteten gezielt durch Merkel nach Deutschland gebracht worden seien, um den „Volkstod“ herbeizubringen, oder immer wieder in der Behauptung, die Gegendemonstrant_innen seien alle bezahlt. Eigentlich geht es meist darum, dass irgendetwas „Weg muss …“: Merkel, die EU, Flüchtlinge, Lügenpresse, Gegendemonstrant_innen etc. und man sich endlich einen „Volksaufstand“ herbeiwünscht.
 

Spielen Soziale Netzwerke eine Rolle, und wenn ja, welche?

Soziale Netzwerke haben eine, wenn nicht die zentrale Rolle bei der Mobilisierung gespielt. Hierüber lief die Vernetzung und Mobilisierung. Andere Methoden wie die eigene Webseite oder Infostände in der Stadt waren wenig erfolgreich. Innerhalb eines Monats erzielte die Facebook-Seite von „Bragida“ 5.000 „Gefällt mir“-Klicks. Wenn man sich diese jedoch näher angeguckt hat, so kam ein Großteil davon nicht aus der Region, sondern von „Pegida“-Fans fernab von Braunschweig, viele auch aus Dresden. So war von vornherein klar, dass das Mobilisierungspotential in Braunschweig für „Bragida“ viel kleiner war als ein flüchtiger Blick auf die Facebook-Seite dies hätte vermuten lassen. Zu unterschätzen ist aber nicht, wie hier gezielt in den sozialen Netzwerken versucht wird, entsprechende Stimmungen zu schüren, damit ist man durchaus erfolgreich.
 

Wie kommt das Thema in pädagogischen Feldern an und wie wird es bearbeitet?

„Bragida“ war anfänglich ein großes Thema in der Stadt. Nahezu 300 Organisationen und Personen unterschrieben den Aufruf zum Protest gegen „Bragida“. Selbst die CDU rief dazu auf, gegen „Bragida“ auf die Straße zu gehen. Ungefähr 10.000 Menschen demonstrierten gegen den ersten „Sparziergang“. So war es auch in den Schulen ein großes Thema. In der Stadt hat es zu einer verstärkten Debatte über die Integration von Muslimen und auch Geflüchteten geführt. „Bragida“ hatte eine Art ungewollten Katalysatoreffekt. Muslime sind seitdem viel stärker im öffentlichen Leben wahrnehmbar und es gibt zahlreiche Initiativen und Projekte, die sich um geflüchtete Menschen kümmern.
 

Tina Müller ist als Sprecherin eine der Führungsfiguren von „Bragida“. Wie sichtbar sind Frauen generell bei „Bragida“?

Bis nach der ersten Versammlung von „Bragida“ weigerten sich die Organisatoren, mit der Presse zu sprechen und blieben anonym. Dann traten Tina Müller, Annegret H. und eine weitere Frau gemeinsam als Sprecherinnen nach außen. Davon blieb dann nur Tina Müller als „offizielle“ Sprecherin. Damit ist das Bild von „Bragida“ deutlich stärker durch Frauen geprägt, als dies etwa bei „Pegida“ der Fall ist. Frauen waren auch als Ordnerinnen mit in die Organisation eingebunden, trugen das Fronttransparent mit oder traten als Rednerinnen auf.

 

Gegen den ersten Sparziergang gingen 10.000 Personen auf die Straße. Wie wurde so eine breite Mobilisierung bewerkstelligt?

In Braunschweig gab es von Beginn an ein breites Spektrum an Gegenprotesten. Das reichte von der Antifa bis zur CDU. Die CDU unterzeichnete zwar nicht den Aufruf zur Gegendemonstration, da ihr darunter wohl zu viele linke Gruppen waren. Sie rief aber dazu auf, sich an Gegenprotesten zu beteiligen. Wir haben mit dem „Bündnis gegen Rechts“ hier ein Bündnis, das seit über 15 Jahre existiert und wo sehr unterschiedliche Gruppen zusammenarbeiten. Da ist natürlich viel an Vertrauen und Akzeptanz über die Jahre entstanden. Als „Bragida“ anfing, da gab es ja schon die beunruhigenden Bilder aus Dresden, wo es ja Montag für Montag immer mehr Menschen „Pegida“ folgten.

Da gab es diese Stimmung unter vielen in der Stadt, so etwas wie in Dresden dürfen wir hier erst gar nicht entstehen lassen. Dadurch da der Gegenprotest zu Beginn sehr groß und deutlich breiter, als wir das als „Bündnis gegen Rechts“  etwa von den Protesten gegen Neonaziaufmärsche in der Stadt kennen. Da waren nie mehr als 5.000 bis 6.000 Menschen. Die Teilnehmendenzahl von „Bragida“ ging dann ja auch schnell zurück. „Bragida“ beklagte sich auch,  in der Stadt ein Anti-“Bragida“ Klima herrsche - eine  durchaus richtige Einschätzung. Dies führte dazu, dass viele sich nicht öffentlich zu „Bragida“ bekennen wollten, obwohl vielleicht deutlich mehr Menschen auch hier gewisse Positionen von „Pegida“ teilen. Auch der wöchentliche Turnus der „Sparziergänge“ hat „Bragida“ wohl eher geschadet. Man muss schon sehr überzeugt oder stur sein, wenn man jeden Montag auf die Straße geht, dabei immer gleiche Reden hört und eigentlich feststellen müsste, dass immer weniger Anhänger_innen zusammenkommen und kaum jemand erreicht wird. Selbst bekannte Redner wie Lutz Bachmann zogen ja kaum mehr Teilnehmende an.

 

„Bragida“ ist personell stark geschrumpft. Die rechte Hool- wie Naziszene hat sich zurückgezogen. War „Bragida“ also ein kompletter Misserfolg für die rechte Szene?

Rassistische, islamfeindliche, extrem rechte und neonazistische Positionen gab es natürlich auch schon vorher. Aber diese waren nicht so sichtbar und kaum so öffentlich präsent, wie jetzt. Es gibt jetzt deutlich mehr Menschen, die entsprechende Positionen offen äußern, insbesondere natürlich in den sozialen Netzwerken. Profitiert hat in Ansätzen zumindest die rechtsextreme Szene, die Neonazis. Sie konnten unter den jungen Teilnehmenden von „Bragida“ Leute für sich gewinnen. Zudem verschwinden die Grenzen zwischen dem neonazistischen Spektrum und der eher „bürgerlichen“ extremen Rechten und Rechtspopulisten. Aktuell hat das noch nicht so sichtbare Folgen, könnte sich aber in Zukunft positiv für die rechte Szene auswirken.

Dennoch sind viele aus der rechten Szene frustriert zurückgeblieben. Nazis beschweren sich, dass „niemand mehr den Arsch hochkriegt“. Auch Protest gegen Geflüchtete verlaufen aus ihrer Sicht für sie kläglich. Es gab mehrere Versuche, Bürgerwehren zu gründen, die allesamt im Anfangsstadium, meist schon als rein virtuelle Facebook-Gruppen, gescheitert sind. Mit Beginn von „Bragida“ sind allerdings die behördlich registrierten Zahlen rechter Straf- und Gewalttaten sprunghaft in der Stadt angestiegen, ein Trend, der sich weiter fortsetzt. Man merkt ein deutlich aggressiveres Auftreten der Neonazis. Die fühlen sich natürlich bestärkt, weil ihre Themen inzwischen auch bis in die Mitte der Gesellschaft diskutierbar geworden sind.

 

 

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Messerangriff auf Antifaschisten in Dortmund

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Plakat bei einer Demonstration in Dortmund
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Am vergangenen Sonntag, 14.08.2016, wurde ein junger Antifaschist im Dortmunder Westen von drei Vermummten mit einem Messer attackiert. Jetzt planen verschiedene Initiativen eine Protestaktion, um auf die zunehmende rechte Gewalt zu reagieren. Der Angriff auf den 24-jährigen Aktivisten war nicht der erste Angriff auf Nazigegner in Dortmund.
 

Von Carina Schulz

Am vergangenen Sonntag, 14.08.2016, wurde ein junger Antifaschist im Dortmunder Westen von drei Vermummten mit einem Messer attackiert. Die Angreifer lauerten dem 24-jährigen am Nachmittag vor seiner Wohnung aus einem Auto heraus auf. Sie schlugen auf ihn ein, dann zog einer der Angreifer ein Messer und stach zwei Mal zu, berichtet das antifaschistische Bündnis „BlockaDo“. Der Angegriffene erlitt eine Stichverletzung im Bauchbereich. Dennoch gelang es dem Dortmunder, zu flüchten. Nach einer ersten ambulanten Versorgung im Krankenhaus erstattete er Anzeige.

"Die Polizei reagierte zunächst kaum", sagt einer der Aktivisten, der in den nächsten Tagen an der Aufarbeitung des Angriffs mitarbeiten wird. "Die Aufnahme des Tatbestands verlief dilettantisch, es gab beispielsweise keine Tatortbegehung." Auch ein Gespräch mit der Polizei sei erst für morgen geplant gewesen. Wegen der großen Öffentlichkeit, die der Fall seit der Veröffentlichung auf Facebook bekommt, habe die Polizei nun aber reagiert und das Gespräch auf den heutigen Nachmittag vorgezogen. Inzwischen sucht die Dortmunder Polizei auch nach Zeugen für den Angriff. Beschrieben werden die Täter wie folgt: " Alle drei waren mit Sturmhauben vermummt. Zwei trugen schwarze Oberbekleidung, einer war mit einer Militärhose bekleidet." Hinweise können telefonisch unter 0231/132-7441 gemeldet werden.

Bereits am 1. August war der junge Antifaschist im Stadtteil Dorstfeld, der als Neonazi-Kiez bekannt ist, von Rechtsextremen angegriffen worden. Er erkannte die beiden Täter und erstattete Anzeige bei der Polizei. Seither tauchten immer wieder Nazis vor seiner Haustür auf – viele Aktivisten vermuten deshalb, der Messerangriff vom vergangenen Sonntag könnte einen Racheakt der Dortmunder Naziszene sein. "Dortmund ist Schauplatz militanter Nazigewalt. Es gab zahlreiche Übergriffe auf Antifaschistinnen und Antifaschisten", schreibt das Bündnis BlockaDo zu den sich häufenden Angriffen aus der rechten Szene.  "Jetzt griffen sie am helligten Tag vermummt und bewaffnet einen Antifaschisten vor seiner Wohnung in einem belebten Viertel an und nahmen seinen Tod billigend in Kauf."

Um der Gewalt von rechts etwas entgegenzusetzen, soll es morgen ein offenes Treffen in Dortmund geben. Die Initiativen „BlockaDo“, die Linksjugend ['solid] Dortmund, die SAV Sozialistische Alternative sowie die ver.di Jugend Dortmund laden dazu ein, eine gemeinsame Protestaktion zu organisieren. "Es würde sich anbieten, zusammen eine Demonstration zu planen", sagt einer der Aktivisten. "Nicht nur aus Solidarität mit dem aktuell Betroffenen, sondern gegen jede rechte Gewalt."

Foto unter Creative Commons Lizenz CC by-SA 2.0

 

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Klarstellung: Was sagt die Amadeu Antonio Stiftung?

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Was wir eigentlich sagen wollen.
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Meme / Internet

Im Moment werden der Amadeu Antonio Stiftung, zu der auch netz-gegen-nazis.de gehört, in den Sozialen Netzwerken, in rechtsextremen und neurechten Medien und nun auch in konservativen Medien die bodenlosesten Dinge unterstellt. Vielleicht fragen Sie sich inmitten des Shitstorms langsam selbst, was wir alles so kontrollieren, fordern und verantworten? Hier kann Ihnen geholfen werden. 

Auch wenn wir unsere Arbeitszeit lieber auf andere Dinge verwenden als auf die Richtigstellung kurioser Dinge, die über die Amadeu Antonio Stiftung im Netz verbreitet werden, brauchen manche Erzählungen im Netz doch eine Antowort, um nicht als scheinbar unwidersprochen darzustehen.
 

Von Simone Rafael
 

Behauptet die Amadeu Antonio Stiftung, die CDU gehöre zur "Neuen Rechten"?
 

Heute aktuell behauptet ein Artikel in der F.A.Z., ein Jugendprojekt im Rahmen unserers Partnerprojektes no-nazi.net, das "Wiki Neue Rechte", stelle die CDU als Teil der "Neuen Rechten" dar. Wenn Sie nun denken, das ist Unfug: Das sehen wir auch so. Hier die Klarstellung der Amadeu Antonio Stiftung zu diesem Sachverhalt:

Am 16. August 2016 erschien in der Frankfurter Allgemeine Zeitung ein Artikel von Rainer Meyer, der auch als Kommentator „Don Alphonso“ für die F.A.Z. bloggt. In diesem Artikel unterstellt Meyer, dass im Wiki „Neue Rechte“, das in einem Jugendprojekt für 16- bis 25-Jährige im Rahmen des Projektes „no-nazi.net“ entstanden ist, suggeriert werde, die CDU sei ein Teil der „Neuen Rechten“. Diese Darstellung ist grundlegend falsch und eine Unterstellung, gegen die sich die Amadeu Antonio Stiftung entschieden wehrt:

Weder die Amadeu Antonio Stiftung noch das Wiki „Neue Rechte“ behaupten die CDU sei der „Neuen Rechten“ zuzuordnen. Im Wiki werden bekannte Personen benannt, die im Zusammenhang mit der „Neuen Rechten“ stehen und wie diese öffentlich auftraten und auftreten. Es wird ausschließlich im Zusammenhang mit vier Personen auf die ehemalige und in einem Fall bestehende CDU-Mitgliedschaft hingewiesen – namentlich: Alexander Gauland, Peter Münch, Martin Hohmann sowie Hedwig von Beverfoerde. Damit kommt die CDU durch den technischen Aufbau des Wikis als Schlagwort in der Kategorie „Partei“ vor. Darüber hinaus ist die CDU als Partei ist nicht Gegenstand des Wikis.

Es ist kaum zu glauben, dass Rainer Meyer als netzaktiver Journalist dies nicht durchschaut. Auch eine Nachfrage, die den Sachverhalt hätte klären können, blieb im Vorfeld des Artikels aus. Stattdessen schreibt Meyer: „Die Brückenfunktion erfüllen laut der Webseite „Neue Rechte“ Gruppierungen wie die rechtsextreme Partei „Der III.Weg“, die NPD, „Die Rechte NRW“ – und erstaunlicherweise auch die Regierungs- und Kanzlerinpartei CDU. Angela Merkel müsste demzufolge als Chefin einer Partei gelten, die der „Neuen Rechten“ zugeordnet wird.“  Dies wird im Wiki nirgendwo gesagt – weil es falsch ist. Es ist eine unzulässige Behauptung, dass der Hinweis auf die CDU-Mitgliedschaft eine Aussage über die CDU als Partei beinhaltet. 

Selbstverständlich werden alle Einträge mit besonderer Sorgfalt überprüft werden, auch um Missverständlichkeiten zu vermeiden. Es handelt sich bei diesem, wie auch anderen Wikis, um recherchierte und zusammengetragene Informationen, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Das Wiki lebt von konstruktiver Kritik und einer stetigen Aktualisierung durch die Nutzer_innen. 

Zur Meinungsfreiheit gehört, dass auch die Amadeu Antonio Stiftung überzogene Kritik in Meinungsbeiträgen dulden muss. Der Artikel von Herr Meyer wurde im Print jedoch in der Rubrik Medien veröffentlicht und war nicht als Meinungsartikel gekennzeichnet. Die Amadeu Antonio Stiftung prüft rechtliche Schritte.

 

Desweiteren gibt es aktuell eine Vielzahl von Falscherzählungen zum Engagement der Amadeu Antonio Stiftung gegen Hassrede im Internet.  
 

  • Kontrolliert die Amadeu Antonio Stiftung
  • a) Facebook 
  • b) das Löschverhalten von sozialen Netzwerken 
  • c) Heiko Maas
  • d) das Bundesjustizministerium?
  • Fordert die Amadeu Antonio Stiftung Gesetzesverschärfungen, Zensur, Einschränkung der Meinungsfreiheit?
  • Führt sie Pranger-Listen, reicht sie Lösch-Listen ein?

 

Dazu hat die Amadeu Antonio Stiftung im August 2016 Antworten veröffentlicht, die wir hier auch wiedergeben möchten:

 

Seit einigen Monaten wird mit einer beispiellosen Kampagne versucht, die Arbeit der Amadeu Antonio Stiftung zu diskreditieren. Dabei geht es vor allem um ihr Engagement zum Thema Hassrede.

Die Stiftung ist seit vielen Jahren gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und weitere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit aktiv. Angesichts der Zunahme von Gewalt gegen Flüchtlinge und Migrant_innen hat sich die Stiftung mit der Hetze gegen Geflüchtete in Sozialen Netzwerken auseinandergesetzt. Das ist für viele bereits Grund genug in der Öffentlichkeit zu versuchen, die Stiftung in Verruf zu bringen. Dabei werden immer wieder bestimmte Fragen aufgeworfen. Die wichtigsten haben wir hier zusammengestellt.

 

1. Löscht die Amadeu Antonio Stiftung Beiträge, Kommentare oder Accounts auf Facebook?

Nein.
Wie alle Nutzer_innen behalten wir uns lediglich das Recht vor, auf unserer eigenen Facebook-Seite beleidigende und hetzerische Kommentare sowie Falschmeldungen zu entfernen.
 

2. Stellt die Amadeu Antonio Stiftung Listen zusammen mit Seiten/Personen, deren Facebook- oder Twitter-Accounts oder Webseiten gelöscht werden sollen?

Nein.
 

3. In welcher Beziehung steht die Amadeu Antonio Stiftung zu Facebook?

Die Stiftung trifft sich in der Regel einmal im Jahr mit Facebook, um über die Entwicklung von Hassrede zu diskutieren. Dabei macht die Stiftung deutlich, dass Löschen und Verbote das eigentliche Problem nicht lösen. Dennoch: Was strafrechtlich in Deutschland relevant ist, soll von Facebook auch gelöscht werden. Wie Facebook darüber hinaus mit verletzenden aber nicht strafrechtlich relevanten Beiträgen umgeht, entscheidet das Unternehmen selbst. Die Amadeu Antonio Stiftung übernimmt eine beratende, vermittelnde und netzwerkbildende Funktion zwischen dem Unternehmen Facebook und den Nutzer_innen im deutschsprachigen Raum, mit dem Ziel, Gegenrede und Aktivist_innen zu stärken, die sich für Demokratie und gegen Hass auf Facebook engagieren.

Deshalb ist die Amadeu Antonio Stiftung auch Partnerin der 2016 von Facebook gegründeten „Initiative für Zivilcourage Online / Online Civil Courage Initiative (OCCI)“. Diese soll wissenschaftliche Untersuchungen zu Hassrede und ihren Auswirkungen erstellen, Workshops für Engagierte, Kreative und Programmierer_innen anbieten und so Gegenrede und die digitale Zivilgesellschaft auf Facebook stärken.
 

4. Die Amadeu Antonio Stiftung wird immer wieder in Zusammenhang mit der „Task Force“ von Bundesjustizminister Heiko Maas genannt. Was genau macht die Task Force? Welche Rolle spielt dabei die Amadeu Antonio Stiftung?

Bundesjustizminister Heiko Maas rief im Oktober 2015 eine "Task Force gegen Hassinhalte im Internet" zusammen, um den Umgang mit rassistischer, antisemitischer und demokratiefeindlicher Hassrede im Internet zu erörtern. Eingeladen waren Vertreter_innen des Justizministeriums, von Internetunternehmen, Beschwerdestellen und NGOs – darunter die Amadeu Antonio Stiftung.

In der Task Force wurde vor allem über generelle juristische Fragen gesprochen. Wie zum Beispiel, ob das deutsche Recht bei Facebook angewandt wird, wie mit strafbaren Handlungen umgegangen wird und wie die Unternehmen auf den wachsenden Hass in den Sozialen Netzwerken reagieren können.

Die Amadeu Antonio Stiftung unterstützt die digitale Zivilgesellschaft, den Minderheitenschutz und öffentlichkeitswirksame Kampagnen für eine demokratische Debattenkultur. Diesen Ansatz hat sie auch in der Task Force immer wieder betont und noch einmal deutlich gemacht, dass löschen nicht immer die wirkungsvollste Art der Reaktion auf Hassrede ist.

(Ausführlich zur Task Force hier).
 

5. Was genau fordert die Amadeu Antonio Stiftung im Zusammenhang mit Hassrede im Internet?

Menschen, die Ziel von Hassrede werden, erfahren meist eine enorme psychische Belastung. Im schlimmsten Fall sind Drohungen und Gewaltaufrufe Teil der Hasskommentare. Das kann dazu führen, dass sich betroffene Personen oder Gruppen durch solche Einschüchterungen nicht mehr trauen, ihre Meinung in einem Sozialen Netzwerk zu vertreten, oder Kommentarfunktionen unter Medienberichten gänzlich abgeschaltet werden, da die zuständigen Moderator_innen die Masse an Hassrede nicht mehr bewältigen können.

Meinungsfreiheit muss auch für Menschen gewährleistet sein, die Ziel von Hassrede werden. Deshalb fordert die Amadeu Antonio Stiftung von der Politik, dass sie geltendes Recht auch in der „Online-Welt“ durchsetzt. Wenn Inhalte strafrechtlich relevant sind, müssen sie auch strafrechtlich verfolgt werden.  

Von den Betreiber_innen Sozialer Netzwerke erwartet die Amadeu Antonio Stiftung, dass sie sich an ihre eigenen Verhaltenskodexe halten. Es macht keinen Sinn, abstrakt demokratische Diskussionskultur zu proklamieren, sich aber dann nicht konkret darum zu kümmern und auf Nutzer_innen-Anfragen zu wenig zu reagieren.

Die Amadeu Antonio Stiftung ruft die Nutzer_innen Sozialer Netzwerke zu einer Debattenkultur auf, in der auch bei kontroversen Themen ein respektvoller Umgang untereinander gesucht wird.  Demokratische Gegenrede ist eine Möglichkeit, mit Hassrede umzugehen. Eine andere ist den Opfern von Hassrede beizustehen.
 

6. Wie steht die Amadeu Antonio Stiftung zur Meinungsfreiheit?

Die Amadeu Antonio Stiftung sieht in der Meinungsfreiheit ein zentrales Prinzip der Demokratie. Sie folgt dabei dem Grundgesetz und der Rechtsprechung, die die Grenzen der Meinungsfreiheit dort sehen, wo sie andere beschränken. Die Stiftung fordert keinerlei Gesetzesänderungen. Auf Basis der Grund- und Menschenrechte tritt sie für die Wahrung eines respektvollen, nicht abwertenden, gleichwertigen Umgangs miteinander in Diskussionen ein –  auch im Internet.
 

7. Was versteht die Amadeu Antonio Stiftung unter Hassrede?

Hassrede ist ein politischer Begriff. In Deutschland orientiert sich dieser Begriff im Wesentlichen am Tatbestand der Volksverhetzung, Beleidigung und übler Nachrede. Die Stiftung vertritt die Auffassung, dass auch jenseits der strafrechtlichen Relevanz von Hassrede gesprochen werden kann, wenn Verfasser_innen darauf abzielen, Menschen oder Menschengruppen gezielt abzuwerten. Weitere Erläuterungen dazu finden sich in der Publikation der Amadeu Antonio Stiftung „Geh Sterben! Umgang mit Hate Speech und Kommentaren im Internet“(PDF-Dokument)

8. Wie engagiert sich die Amadeu Antonio Stiftung zum Thema Hassrede?

Die Amadeu Antonio Stiftung setzt sich seit vielen Jahren für eine digitale Zivilgesellschaft ein. Dazu arbeitet sie seit 2010 mit verschiedenen Sozialen Netzwerken zusammen, darunter Facebook, Google und Twitter.

2009 engagierte sich die Stiftung gemeinsam mit Google/YouTube im Rahmen des Wettbewerbs „361 Grad für Toleranz und Respekt, gegen Hass und Gewalt“ und 2010 mit der Kampagne Soziale Netzwerke gegen Nazis.

Angesichts vielfältiger Formen von Hasspropaganda und Gewaltaufrufen publiziert die Stiftung Handreichungen und Broschüren zum Umgang zum angemessenen Umgang mit Hassrede. Auf Anfragen berät die Stiftung auch Unternehmen, Schulen oder andere Einrichtungen über Verbreitung und Formen von Hassrede.

Folgende Veröffentlichungen zum Thema Hassrede/Hate Speech sind in der Amadeu Antonio Stiftung erschienen:

In Kooperation mit Facebook:

In Kooperation mit der „Freiwilligen Selbstkontrolle Medien“:

Daneben sind Hassrede und Gegenrede immer wieder auch Thema auf der Website www.netz-gegen-nazis.de der Stiftung, etwa in der Reihe Hass im Internet aktuell und im Monatsüberblick Internet & Social Media.
 

9. Anetta Kahane soll für die Staatssicherheit gearbeitet haben. Stimmt das?

Ja, Anetta Kahane wurde 1974 im Alter von 19 Jahren als IM angeworben. 1982 beendete sie aus eigener Initiative die Arbeit für den Staatssicherheitsdienst, was zu erwarteten erheblichen beruflichen und persönlichen Nachteilen führte.

Ab Anfang der 1980er Jahre engagierte sich Anetta Kahane für Bürger- und Menschenrechte und trat für die Rechte von Migrant_innen in der DDR ein. Sie wurde in dieser Zeit selbst observiert und stellte schließlich einen Ausreiseantrag. 1989/90 saß sie zum Thema Ausländerfragen für das Neue Forum am Runden Tisch.

Anetta Kahane hat sich umfassend für die Aufarbeitung ihrer IM-Tätigkeit eingesetzt. Sowohl in ihrer 2004 erschienenenAutobiographie als auch in Interviews gibt sie Auskunft darüber, vor welchem persönlichen Hintergrund sie sich für die Kooperation mit dem Staatssicherheitsdienst entschied, wie sich ihre Einstellung zur DDR veränderte und wie sie aus heutiger Perspektive diese Entscheidung beurteilt. Darüber hinaus drängte sie auf ein unabhängiges Gutachten. Dies wurde durch den Experten Dr. Helmut Müller-Enbergs angefertigt, der auf Grundlage der vorhandenen Akten den potentiellen Schaden ihrer IM-Tätigkeit für eventuelle Opfer einschätzen sollte. Im Gutachten enthalten sind detaillierte Informationen über die Kooperation von Anetta Kahane mit dem Staatssicherheitsdienst und eine Bewertung der Folgen. Dr. Müller-Enbergs kommt darin zu dem Schluss: „Anhaltspunkte dafür, dass Frau Kahane im Rahmen ihrer inoffiziellen Kooperation mit dem MfS in den Jahren 1974 bis 1982 Dritten Nachteile zugefügt hat, ergeben sich im Ergebnis des Aktenstudiums, anderer Überlieferungen und der umfänglichen Interviews nicht.“ Das vollständige Gutachten kann auf der Webseite der Amadeu Antonio Stiftung eingesehen werden.(PDF-Dokument)

Neben dem Gutachten von Dr. Müller-Enbergs finden Sie nachfolgend zwei Interviews, in denen sich Anetta Kahane zu ihrer IM-Tätigkeit äußert:

·Deutschland Radio Kultur: Im Gespräch mit Anetta Kahane: Unbeirrbares Engagement gegen rechten Hass (vom 06.06.2016)

·Interview in der tageszeitung: „Ich war nicht gemacht für die DDR“ (vom 30.08.2004)

Die IM-Tätigkeit Anetta Kahanes ist seit vielen Jahren öffentlich bekannt. Dennoch wird diese Information wiederkehrend als neu propagiert und mit aktuellen Debatten verknüpft, um sie als Person und die Arbeit der Amadeu Antonio Stiftung anzugreifen. Insbesondere aus rechtsextremen und rechtspopulistischen, aber auch aus antizionistisch-linken Kreisen wird dies nicht selten mit expliziter antisemitischer Hetze gegen Frau Kahane als Jüdin verbunden.

Mit der Zunahme von Hassrede allgemein haben auch die Diffamierungsversuche und Bedrohungen gegen Anetta Kahane und die Amadeu Antonio Stiftung stark zugenommen. Sehen Sie dazu die Pressemitteilung(PDF-Dokument)der Amadeu Antonio Stiftung vom 25. April 2016.
 

10. Wie ist die IM-Vergangenheit von Anetta Kahane mit dem Engagement der Stiftung für Zivilgesellschaft und demokratische Kultur vereinbar?

Die Qualifikation von Anetta Kahane für den Vorstandsvorsitz der Amadeu Antonio Stiftung ergibt sich aus ihrer Expertise durch ihren langjährigen Einsatz für Minderheitenschutz und die Stärkung einer demokratischen Zivilgesellschaft, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet.

Die derzeitigen Versuche, sie als Vorstandsvorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung zu demontieren, berufen sich ausnahmslos auf den Zeitraum ihrer IM-Tätigkeit bis 1982. Doch gerade die Tatsache, dass Anetta Kahane die Stärke besaß, bereits 1982 trotz der zu erwartenden beruflichen und persönlichen Konsequenzen die Kooperation mit der Staatssicherheit zu beenden, gibt Aufschluss über den persönlichen Stellenwert demokratischer Prinzipien und den kritischen Reflexionsprozess, der dieser Entscheidung vorausging.

Nach ihrem Bruch mit der Staatssicherheit wurde sie selbst observiert, verlor ihre Anstellung an der Humboldt-Universität und wurde in ihrer Tätigkeit als Übersetzerin stark eingeschränkt. Anetta Kahane setzte sich bereits in den 1980er Jahren für Bürger_innen- und Menschenrechte und gegen Rassismus in der DDR ein – Themen, die alles andere als politisch opportun waren:

1989 initiierte Anetta Kahane eine Arbeitsgruppe des Neuen Forums Pankow zum Thema Ausländer_innen und Minderheiten in der DDR. Für das Neue Forum war sie Mitglied der Arbeitsgruppe Ausländerfragen des Zentralen Runden Tischs. In Folge dieser Tätigkeiten wurde sie Anfang Mai 1990 zur Ausländerbeauftragten von Ost-Berlin ernannt. In diesem Amt ging es vor allem um die Begleitung und Unterstützung von Flüchtlingen und Asylsuchenden. Durch die sich mehrenden Angriffe auf Geflüchtete gehörte auch die Suche nach Schutzkonzepten dazu. Nachdem das Amt der Ausländerbeauftragten von Ost-Berlin mit dem von West-Berlin zusammengeführt wurde, begann Anetta Kahane 1991 in Kooperation mit der Freudenberg Stiftung, die „Regionalen Arbeitsstellen für Ausländerfragen (RAA)“ in den Neuen Ländern aufzubauen. Der Schwerpunkt der RAA lag und liegt in der Herstellung von Bildungsgerechtigkeit, d. h. Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund.

Angesichts der zunehmenden Gewalt gegen Migrant_innen, aber auch gegen unangepasste Jugendliche, Obdachlose und andere Anfang der 1990er Jahre wurde immer deutlicher, dass die schulbezogene Projektarbeit nicht mehr ausreichte. Es brauchte Formen der Unterstützung für Menschen, die sich der Verbreitung von Rechtsextremismus vor Ort entgegenstellen. Hier waren zum Beispiel die Beratung von Kommunen gefragt, die Begleitung von Opfern rassistischer Gewalt, Ausstiegsmöglichkeiten für neonazistische Aktivist_innen, aber auch die Förderung lokaler Initiativen, die sich einer neonazistischen Hegemonie in ihren Regionen widersetzten oder die lokale Geschichte der Judenverfolgung aufarbeiteten.

Um Projekte fördern zu können, die den Gewaltexzessen und dramatisch zunehmenden Aktivitäten neonazistischer Organisationen und Parteien zivilgesellschaftlich entgegenwirken, gründete Anetta Kahane gemeinsam mit anderen die Amadeu Antonio Stiftung. Wichtiger Förderer war dabei die Freudenberg Stiftung. Deren Geschäftsführung war bereits 1990 von Anetta Kahane über ihre IM-Tätigkeit informiert worden und kam nach Akteneinsicht zu einem ähnlichen Ergebnis wie das oben erwähnte Gutachten von Dr. Müller-Enbergs. Die Freudenberg Stiftung unterstützt Anetta Kahane sowie alle Mitarbeiter_innen der Amadeu Antonio Stiftung bei ihrem Engagement für Demokratie und Zivilgesellschaft.

 

Lesen Sie auch:

| Rechtsextreme Kampagne gegen die Amadeu Antonio Stiftung (netz-gegen-nazis.de)

| Volle Kanne Hass (Tagesspiegel)

 

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Wenige Patriot_innen warten in Potsdam

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Potsdamer Patrioten am "Patriotentag". Statt der angemeldeten 700 kamen rund 50 Islamfeinde.
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Danny Frank

Schon "Pogida", also eine Potsdamer islamfeindliche "Gida"-Demonstration, wollte in Potsdam kaum gelingen (ngn berichtete). Nun gab es einen neuen Demonstrationsanlauf in Potsdam: Den "Freien Patrioten Tag". Der hatte allerdings ähnlich wenig Zulauf wie "Pogida"- und wenig Spaß. Fotostrecke. 

Von Danny Frank

Taktisch zumindest war das Datum gut gewählt: Zur Potsdamer Schlössernacht am 20.08.2016 erhofften sich die Initiatoren des "Freien Patrioten Tages" in Potsdam wohl einige Öffentlichkeit für ihr Anliegen, dass sie auf den Luisenplatz tragen wollten: "Nein zum Islamterror!!! Gedenken für Terroropfer in Deutschland, Europa und der Welt". Und dann hieß es doch wieder einmal: Warten, im Sitzen oder Stehen, umringt von Gegendemonstrant_innen. Statt der angemeldeten 700 Demonstrant_innen waren dann auch nur 50 gekommen (selbst die Veranstaltenden sprechen auf Facebook von 100), dafür aber 250 lautstarke Gegendemonstrant_innen vom Bündnis "Potsdam bekennt Farbe". Laut "Pogida-Watch" waren selbst von den 50 Teilnehmenden die meisten nicht aus Potsdam, sondern waren aus Dresden, der Altmark ("Bürgerbewegung Altmark"), Rathenow ("Bürgerbündnis Havelland") und Berlin ("Bärgida") angereist.

Das missfiel offenbar auch den Veranstaltern: Jens Lorek, Sprecher der Gruppe "Freie Patrioten Potsdam", sagte anschließend zu Journalisten, es werde vorerst keine weiteren "Patrioten"-Veranstaltungen in Potsdam geben.

Warten am Luisenplatz. Mit Fahnen.

Dieser Patriot ist sogar beschriftet.

Mehr Warten, mehr Fahnen.

Dieser Demonstrationsteilnehmer hat wohl mehr etwas gegen Geflüchtete. Dabei sollte es doch um "Islamterror" gehen?!

Hier ist ein Bezug zu den "Hooligans gegen Satzbau" gegeben. Zumindest erscheint hier deren Symbol auf der Deutschland-Fahne.

Warten geht auch im Stehen. Mit Fahnen.

Gegendemonstrant_innen gab es etliche mehr. Bunter waren sie auch.

 

Noch mehr Fotos gibt es hier:

https://www.flickr.com/photos/pusztapunk/sets/72157671843706392

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Monatsübersicht Juli 2016: Rechtspopulismus, AfD und Pegida

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Pegida hat jetzt auch eine Partei. Deren "Volk" ist aber noch recht überschaubar: Auf Facebook gefällt das 232 Personen (Stand 30.08.2016).
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Screenshot Facebook, 30.08.2016
www.facebook.com

Die Sprache des Rechtspopulismus +++ Warum wird die AfD rechtspopulistisch genannt, die Linkspartei aber selten linkspopulistisch? +++ Rechtspopulismus: Wenn Demokratie verzichtbar erscheint und Lügen nur nützen +++ AfD und Antisemitismus und Spaltung in Baden-Württemberg +++ Chaos in der Bundes-AfD  +++ Wie die AfD sich immer wieder „vertwittert“ +++ „Legida“ demonstriert „gegen Gewalt“ – mit sehr wenig Anhänger_innen +++ München: Verwaltungsgericht schränkt erstmals „Pegida“-Demonstrationen ein +++ Pegida Dresden : Die Luft ist raus, die Partei ist da.
 

Zusammengestellt von Simone Rafael

 

Rechtspopulismus

 

Die Sprache des Rechtspopulismus

Wird von der AfD genauso verwendet wie von Donald Trump und den Brexit-Befürwortern: „Wir“ gegen das „System“,  Bedrohungsszenarien,  Provokationen. Warum die so gut funktioniert, klärt der Deutschlandfunk mit Sprachwissenschaftler_innen aus Österreich und Deutschland. Ein weiterer Beitrag analysiert Themen und Mittel des Rechtspopulismus.

Sehr praktisch setzt sich mit dem Phänomen die FAZ auseinander:  Hier beantwortet Erziehungswissenschaftler Klaus-Peter Hufer aktuelle Stammtischparolen wie „Andere Parteien wollen Zuwanderung nur, damit die Deutschen in einem großen europäischen Brei aufgehen.“ (Armin Paul Hampel, AfD-Chef in Niedersachsen), „Heute sind wir tolerant und morgen fremd im eigenen Land“ (Wahlslogan der NPD, den auch AfD-Politiker verwendet haben) oder „Ich will das auf keinen Fall herunter spielen, aber es ist doch klar, dass ein Gutteil dieser angeblichen Brandanschläge von den Flüchtlingen selbst kommt, meist aus Unkenntnis der Technik. Mal ehrlich, viele von ihnen dürften es gewohnt sein, in ihren Heimatländern daheim Feuer zu machen.“ (Armin Paul Hampel, AfD-Chef in Niedersachsen).
 

Mythen der Rechten: Der Mythos vom Kampf um die Arbeitsplätze

Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg? Die Zuwanderer sorgen für sinkende Löhne und/oder verstopfen die Sozialsysteme? Wie aus falscher Politik echte Vorurteile werden, berichtet die Frankfurter Rundschau – und hat Gegenargumente: Wer sind die wahren Verantwortlichen für Niedriglöhne und Sozialabbau?
 

Warum AfD, Pegida und Co. den Islam im Visier haben

Hysterisch, hoch emotional, fast panisch – so lässt sich die Debatte über den Islam in Deutschland beschreiben. Der Grund: Viele Anhänger der Rechtspopulisten leben in einer „erfundenen Realität“, meint der Journalist Mohamed Amjahid. Größter Profiteur ist die AfD (vorwaerts.de)
 

Warum wird die AfD rechtspopulistisch genannt, die Linkspartei aber selten linkspopulistisch?

Das fragt die FAZ Populismusforscher Frank Decker und findet heraus: „ „Rechtspopulistisch“ ist kein Begriff aus dem luftleeren Raum, keine „einfach so“ dahingesagte Parteinahme, sondern fußt auf Kriterien, die mittlerweile in der Politikwissenschaft einigermaßen unumstritten sind: So sind Abgrenzung zu anderen und ein ausgeprägtes Schwarz-Weiß-Denken typisch für Populisten, im Falle der Rechtspopulisten kommt die Ausgrenzung bestimmter Gruppen wie zum Beispiel von Ausländern hinzu– aber auch die Beschwörung von Krise und Niedergang.“ Und: „Nicht jeder, der wie Horst Seehofer mal guckt, wie Volkes Stimme ist, ist gleich ein Populist. Das zentrale Merkmal des Populisten ist die Anti-Establishment-Orientierung. Populisten opponieren gegen die gesellschaftlichen und politischen Eliten und reklamieren für sich, für das einfache Volk einzutreten. Hier das böse Establishment, das sich vergeht an den Interessen des Volkes, und dort das reine Volk, das in seinem Willen gut ist. Die Populisten negieren die Vielfalt der Meinungen und Interessen und unterstellen einen einheitlichen Volkswillen, und dann ist es folgerichtig, wenn das von einer Person vertreten wird – also, das Prinzip der charismatischen Führerschaft.“  Decker sagt aber auch: Natürlich gibt es Linkspopulismus in der Linken – der ebenfalls den Anti-Establishment-Aspekt betont.
 

Rechtspopulismus: Wenn Demokratie verzichtbar erscheint

Populisten sammeln die Enttäuschten, die Wutbürger, die Habenichtse, die Fremdenfeinde, die Politikverdrossenen, kurzum die Globalisierungs- und Modernisierungsverlierer. So erklären wir uns jedenfalls den Erfolg der großen Vereinfacher. Und setzen dann die immer gleiche Erklärung dagegen: Populisten sind auch Betrüger, weil sie wider besseres Wissen den Menschen versprechen, was sie unmöglich halten können, weil sie Wahrheit und Wirklichkeit so lange drehen und dehnen, bis den Menschen angst und bange wird, weil sie Missgunst säen und Unsicherheit schüren. In dieser Perspektive erscheint der Populismus als politische Bauernfängerei. Es kommen Falschaussagen, Verleumdungen, Hetzereien und Lügen zum Einsatz, Übertreiben und Verunglimpfen – und das alles schadet den Politiker_innen gar nicht, denn es gehört zum nationalistischen, autoritären und chauvinistischen Politikstil. Den mögen Menschen, denen Demokratie inzwischen verzichtbar erscheint – Hauptsache, der Laden läuft. Ein Schlüssel ist dabei die soziale Gerechtigkeit, die immer weniger Menschen erfüllt sehen. Interessanter Text in der Berliner Zeitung.

Auch lesenswert: Warum Rassismus-Vorwürfe ohne Begründung selbst eine populistische Kritik am Populismus sind und nichts helfen (Süddeutsche Zeitung).

 

AfD

 

AfD und Antisemitismus und Spaltung

Baden-Württemberg

  • Für die Vorgeschichte vgl. Monatsüberblick Juni 2016 – Antisemitismus
  • Weil keine Zweidrittelmehrheit in der AfD-Fraktion zustande kommt, um Wolfgang Gedeon wegen seiner antisemitischen Veröffentlichungen aus der Fraktion zu werfen, verlässt der bisherige AfD-Landeschef und Vorsitzende der AfD-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg, Jörg Meuthen, mit zwölf Abgeordneten die AfD-Fraktion; 13 weitere AfD-Abgeordnete gehören der AfD noch an ( TagesspiegelMonatsüberblick Juli 2016 Antisemitismus).
  • AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry stellt sich hinter die verbleibenden AfD-Abgeordneten als „wahre“ AfD-Fraktion.
  • Die „Causa Gedeon“ erscheint als Instrument eines parteiinternen Machtkampfes: Das Trio Meuthen, Bundes-Vize Alexander Gauland und der Thüringer Rechtsaußen Björn Höcke wollen eine Spitzenkandidatin Petry verhindern (Spiegel)
  • Dann spricht Frauke Petry Jörg Meuthen und „seiner“ Fraktion das Recht ab, die AfD im Landtag zu vertreten (t-Online).
  • Meuthen dagegen will weiter mit Petry zusammenarbeiten (rp)
  • Schließlich leitet die Nicht-Meuthen-AfD-Fraktion doch noch ein Parteiausschlussverfahren gegen Gedeon ein (SüddeutscheHandelsblatt)
  • Dann entscheidet der Bundesvorstand der AfD, die beiden Fraktionen wieder zu vereinen (Tagesspiegel)
  • Der Landtag gibt aber zunächst sein Okay zu zwei AfD-Fraktionen (SWR)
     

Bund

  • Seit einem Jahr steht Frauke Petry an der Parteispitze der AfD – und seitdem gibt es QuerelenDie FAZ fasst sie zusammen
  • Im Merkur werden die aktuellen politischen Strömungen in der AfD zusammengefasst: neoliberal, konservativ und völkisch-national / neurechts.
  • Mehrere Verfassungsschutzämter prüfen eine Beobachtung der AfD; einzelne Mitglieder in Bayern und Baden-Württemberg würden schon jetzt beobachtet (SpiegelZEIT)
  • Zwischen Frauke Petry auf der einen und Alexander Gauland, Jörg Meuthen und Björn Höcke auf der anderen Seite tobt ein offener Machtkampf. Analysen u.a. auf Spiegel OnlineZEIT,
  • AfD will Auftritte bei Pegida zulassen: Parteichefin Frauke Petry wollte das verhindern, das AfD-Schiedsgericht aber will die Auftritte grundsätzlich erlauben. Der völkische Flügel der AfD freut sich (Tagesspiegel)
  • Die „Junge Alternative“ fordert nach dem Anschlag von Nizza ein Einreiseverbot für Muslime in Europa (Focus); Alexander Gauland schließt sich an (Welt)
  • Die „Junge Alternative“ in Baden-Württemberg ist von Neonazis unterwandert (Badische Zeitung).
  • Zahlreiche AfD-Mitglieder pflegen Kontakte zur neurechten „Identitären Bewegung“. Das Handelsblatt fasst zusammen.
  • Nach den Terrorattacken verschiedensten Ursprungs Ende Juli verzeichnet die AfD einen massiven Mitgliederzuwachs: So treten etwa in Würzburg in einer Woche 933 Personen neu in die Partei ein (Huffingtonpost).
     

Internet

  • Beatrix von Storch twittert über die „Nationalmannschaft“, die sie vermisse – das erinnert viele an NPD-Sprache. Sie löscht den Tweet und erklärt, sie habe gegen den DFB-Namen „Die Mannschaft“ polemisieren wollen. (Welt)
  • Als es die ersten Meldungen zu Schüssen im Münchner Olympia-Einkaufszentrum gab (siehe Monatsüberblick Juli 2016 Rassismus), saßen AfD-Funktionäre schon am Computer und wussten, wer es war.
  • Christian Lüth, Pressesprecher der Bundes-AfD, versuchte sofort, den Amoklauf mit neun Toten sofort für neue Wählerstimmen auszuschlachten: "AfD wählen! Schüsse am Olympia Einkaufszentrum: Tote in München – Polizei spricht von akuter Terrorlage"
  • AfD Sachsen: "Der Terror ist wieder zurück! Wann macht Frau Merkel endlich die Grenzen dicht!"
  • Frauke Petry:  "Wenn das "Normalität 2016" ist, will ich nicht mehr normal sein! #afdwählen"
  • André Poggenburg:  "Deutsche verblendete GutmenschInnen geifern aber herum. Ihr habt Mitschuld!""Merkel-Einheitspartei: danke für den Terror in Deutschland und Europa!"
  • Später zeigte sich: Der Täter war ein Deutscher mit rechtsextrem-rassistischer Intention.
  • (MerkurWelt)
  • Die AfD Reutlingen twitterte zum Angriff eines Geflüchteten mit einem Dönermesser auf seine Freundin: "Währen wir an der Macht, währe das nicht passiert". Interessant die Erklärungen dazu: Erst sollte es ein Praktikant gewesen sein, der dies getwittert hätte. Später lies die AfD Reutlingen verlauten, der Twitter-Account sei ein Fake, sie hätten gar keinen. Klingt nach #mausgerutscht (Stuttgarter Nachrichten)
     

Saarland

Die AfD Saar um den 1939 geborenen pensionierten Lehrer Josef Dörr will der AfD-Bundesvorstand am liebsten ganz auflösen. Doch das Bundesschiedsgericht der Partei hat noch nicht entschieden - und der ungeliebte Landesverband hat am Wochenende unbeeindruckt eine Liste für die Landtagswahl 2017 aufgestellt, die vom Pressesprecher und Dörr-Vertrauten Rudolf Müller angeführt wird. Die jüngste Umfrage sieht die AfD mit immerhin elf Prozent in den Saarbrücker Landtag einziehen. Dort könnte, so das Schiedsgericht nicht bald entscheidet und der Bundesvorstand die nötige Durchsetzungskraft aufweist, also eine zweite unerwünschte Landtagsfraktion entstehen (ND).

 

Berlin

Kruder Wahlkampf: AfD hetzt auf stylischen Plakaten mit Schwulen gegen Muslime, mit Kiffern gegen Migranten – und die Berliner bemerken die Hetze doch (stern.de).
 

Mecklenburg-Vorpommern

Umfragen sehen die AfD in Mecklenburg-Vorpommern bei 19 Prozent, im Osten des Bundeslandes könnte die Partei sogar bis zu 30 Prozent erreichen. Vor allem die regierende SPD bekommt Panik, weil sie abstürzt (Tagesspiegel)

 

Sachsen

Erster AfD-Bürgermeister: Ulrich Lupart in Reuth. Denn der wechselt von der nationalkonservativen „Deutschen Sozialen Union (DSU)“ zur AfD. Allerdings wird sein Ort zum 1. Januar 2017 in die Gemeinde Weischlitz eingegliedert, hat dann keinen Bürgermeister mehr (faz).

 

Pegida

 

Legida im Juli „gegen Gewalt“, aber mit Bedrohung – und wenig Teilnehmer_innen

Weil ein „Legida“-Ordner, der 37-jährige „Ronny“, am Abend des 05.07.2016 nach der „Legida“-Demonstration von vier oder fünf noch ungefassten Tätern zusammengeschlagen wurde, lief „Legida“ am 09.07.2016 unter dem Motto „Wir gegen Gewalt“ auf – nicht, ohne ihre „Solidarität mit Ronny“ mit einer Hass-Kampagne gegen den Anwalt und Chef der Sächsischen Grünen, Jürgen Kasek zu verbinden. Der hat zwar mit dem Übergriff nichts zu tun, wird aber stellvertretend als einer der Organisatoren der Gegenproteste zu „Legida“ bedroht und beschimpft (KreuzerTagesspiegel). Offenbar überzeugte „Wir gegen Gewalt“ die Anhänger_innen aber nicht: Statt 2.000 angemeldeten Demonstrant_innen kamen etwas über 100 (tazLVZ). Am 29. Juli 2016 unterbricht „Legida“ den Rhythmus ihrer Demonstrationen und kündigt für den kommenden Montag keine mehr an – allerdings ohne das zu kommunizieren oder zu kommentieren (Kreuzer).

Vgl. auch den Erklärversuch „Ist Legida typisch sächsisch“ auf Deutschlandradiokultur.
 

München: Verwaltungsgericht schränkt erstmals „Pegida“-Demonstrationen ein

Pegida München darf nur noch einmal im Monat am Odeonsplatz demonstrieren (bisher vier Mal). Pegida München darf nur noch einmal pro Woche eine Kundgebung auf dem Marienplatz machen (bisher täglich) und dabei höchstens 5 Minuten pro Stunde einen „Muezzin-Ruf“ erklingen lassen (Süddeutsche ZeitungAbendzeitung)

 

Pegida Dresden : Die Luft ist raus, die Partei ist da

  • Die Teilnehmer_innen-Zahlen sinken dramatisch (Hoch-Zeit: 25.000; zuletzt 2.000)
  • Viele laufen nicht mehr bis zum Ende mit
  • Öffentlicher Streit der Organisatoren: 2015 verabschiedeten sich Kathrin Oertel und Rene Jahn, im Sommer 2016 Tatjana Festerling und Edwin Wagenfeld („Ed, der Holländer“).
  • Es gibt viele Ankündigungen von Aktionen, aber keine Taten.
  • Undurchsichtige Finanzsituation und Umgang mit Spendengeldern
  • Keine Abgrenzung (mehr) zu Neonazis
  • (DNN)
  •  Jetzt ist auch noch Pegidas Facebook-Seite gesperrt (Sächsische Zeitung)

 

Besuch bei bulgarischen Paramilitärs: Ermittlungen gegen Tatjana Festerling

Weiterer Ärger für „Nicht-mehr-Pegida-aber-Festung-Europa“-Frau Tatjana Festerling: Festerling, 52, hatte Ende Juni mit dem niederländischen Pegida-Aktivisten Edwin Wagenfeld Bulgarien besucht. Dabei hatte sie sich nach eigenen Angaben im Grenzgebiet zur Türkei der paramilitärischen Bürgerwehr "Bulgarian Military Veterans Union - Vasil Levski" angeschlossen – und dafür geworben, dass dies mehr Menschen tun sollten, um die „Festung Europa“ zu verteidigen. Nun ermittelt die Hamburger Polizei wegen Anwerbens für einen fremden Wehrdienst (SpiegelZEIT). Um einen Eindruck zu bekommen, wen Festerling da beworben hat, vgl. Tagesspiegel.
 

Pegida-Partei ist da: FDDV – „Freiheitlich Demokratische Volkspartei“

Schon im Frühjahr wurde sie angekündigt, nun gab Lutz Bachmann bekannt, die „FDDV – Freiheitlich Demokratische Volkspartei“ sei gegründet – bereits im Juni. Allerdings machte er weder angeben zur Satzung, zu Themen noch zu Gründungsmitgliedern. Sie solle aber keine Konkurrenz zur AfD werden, die man besonders beim Bundestagswahlkampf unterstützten wolle, sondern die FDDV wolle nur in ganz wenigen Landkreisen oder Wahlbezirken Direktkandidaten stellen, so Bachmann. Er selbst werde keine Funktion in der Partei übernehmen und bleibe „der Lutz von Pegida auf der Straße“ (TagesspiegelZEITSüddeutsche).
 

Recep Tayyip Erdoğan: Özdemir warnt vor "türkischer Pegida" in Deutschland

Der Grünen-Chef sieht die Gefahr eines wachsenden Einflusses radikaler türkischer Nationalisten. Erdoğans Ideologie drohe sich auch an deutschen Schulen zu verbreiten, wenn der türkische Moschee-Dachverband „Ditib“ sich nicht vom Einfluss aus der Türkei löse. Özdemir fordert eine klare Abgrenzung zu radikalen türkischen Nationalisten in Deutschland. "Es gibt leider auch eine Art türkische Pegida in Deutschland, die wir genauso behandeln müssen wie die uns bekannte", sagte er. Özdemir warf der deutschen Politik vor, dieses Problem nicht ernst genug zu nehmen. "Es ist Konsens in Deutschland, dass AfD oder Pegida am Rande der Gesellschaft stehen, und sie nicht normale Gesprächspartner sind. Aber für radikale Türken gelten diese Maßstäbe nicht." (ZEIT)

 

Mehr Menschenfeindlichkeit aktuell, Juli 2016:

| Menschenfeindlichkeit Juli 2016: Rassismus und Feindlichkeit gegen Flüchtlinge
| Menschenfeindlichkeit Juli2016: Antisemitismus
| Menschenfeindlichkeit Juli2016: Homofeindlichkeit und Sexismus
| Menschenfeindlichkeit Juli2016: Islamfeindlichkeit
| Menschenfeindlichkeit Juli2016: Rechtspopulismus - AfD und Pegida
| Menschenfeindlichkeit Juli2016: Internet

 

Alle Artikel zum Thema

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 Neue Rechte

 

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AfD und NPD in Mecklenburg-Vorpommern vor der Landtagswahl: Wer tritt an und mit welchen Themen?

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Alle dicht. Gut, das sie wenigstens andere Farben haben - inhaltlich lassen sich AfD und NPD im Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern gar nicht so leicht unterscheiden.
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ngn

Am Sonntag ist Landtagswahl im Mecklenburg-Vorpommern. Im ehemaligen "Musterland" der NPD zeichnet sich ab, dass die AfD den Rechtsextremen um Udo Pastörs nicht nur die Themen, sondern auch die Wähler_innen wegnimmt.  Das Bundesland ist weiterhin gespalten zwischen Fortschritt und Frustration. Zahlen, Fakten und Personalien vor der Wahl im Schnelldurchlauf.

 

Von Simone Rafael
 

Situation in Mecklenburg-Vorpommern
 

  • Gespalten: In Städten und bei jüngeren, besser ausgebildeten, mobilen Bewohner_innen, die sich der Moderne auch beruflich geöffnet haben, verbessert sich die Lebens- und Einkommenssituation beständig; so wurde etwa die Arbeitslosigkeit halbiert, der Tourismus boomt
  • demgegenüber stehen (oft ältere) Menschen aus den ländlichen Regionen, die sich als Modernitätsverlierer_innen sehen und gesellschaftlich im Stich gelassen fühlen  (vgl. die die sehr informative Recherchereihe „30 Tage oben rechts“  der ZEIT und des Recherchebüros Correctiv)
  • Lange war Mecklenburg-Vorpommern das „Musterland des Rechtsextremismus“ mit völkischen Siedler_innen, vielfältiger Kameradschaftsstruktur und einer starken NPD
  • Sogar weitgehende Errichtung von No-Go-Areas war möglich (Stichwort: Jamel)
  • Viele flüchtlingsfeindliche Proteste und Demonstrationen, meist NPD-gesteuert, z.B. MVGida
  • Übergriffe gegen Flüchtlingsunterkünfte / Migrant_innen in 2015 laut der Dokumentation von mut-gegen-rechte-gewalt.de:

o    Angriffe auf Asylsuchende und ihre Unterkünfte: 75
-  Davon tätliche Übergriffe auf Asylsuchende (Körperverletzung): 20
-  Davon Brandanschläge auf Unterkünfte: 12
-  Davon sonstige Angriffe auf Unterkünfte (Stein-/ Böllerwürfe, Schüsse, rechte Schmierereien etc.):43
o    Verletzte Asylsuchende (durch Brandanschläge, tätliche Übergriffe etc.): 24   

  • In 2016 (bis Juli):

o    Angriffe auf Asylsuchende und ihre Unterkünfte: 43
-  Davon tätliche Übergriffe auf Asylsuchende (Körperverletzung): 8
-  Davon Brandanschläge auf Unterkünfte: 2
-  Davon sonstige Angriffe auf Unterkünfte (Stein-/ Böllerwürfe, Schüsse, rechte Schmierereien etc.): 33
o    Verletzte Asylsuchende (durch Brandanschläge, tätliche Übergriffe etc.): 8
-  Vgl. Jahresrückblicke 20142015

 

Die NPD in MV
 

  • sitzt im Landtag seit 2006; bekam bei der letzten Landtagswahl 6 Prozent der Zweitstimmen.
  • sitzt aktuell mit fünf Abgeordneten im Landtag:  Udo Pastörs (Fraktionsvorsitzender), Stefan KösterTino MüllerMichael AndrejewskiDavid Petereit
  • versuchte vor allem, mit Provokationen Aufmerksamkeit zu erregen; Anzahl der Ordnungsrufe:  mehr als 300 zwischen 2011 und 2016, 37 Mal wurde das Wort entzogen, 31 Mal Abgeordnete von Sitzungen ausgeschlossen;  Anzahl der Anträge 214, davon aber 59 in einer Sitzung als PR-Coup -> spielt im Parlamant keine Rolle (vgl. Endstation rechts)
  • dafür 1.355 „kleine Anfragen“ -> Informationen für die rechtsextremen Szene,  die zudem Behörden  und Ministerien „beschäftigten“ und damit demokratisch-konstruktive Arbeit stören
  • Die NPD sitzt aktuell in 7 von 8 Kreistagen mit 17 Sitzen; bekam 3,2 Prozent der Stimmen bei der Kommunalwahl 2014
  • Nutzt die staatlichen Gelder aus der parlamentarischen Arbeit für eine aktive Infrastruktur, Anbindung an Neonazi-Strukturen, aber auch an Bevölkerung ohne Berührungsängste nach rechtsaußen (z. B. soziale Angebote im „Thinghaus“ in Grevesmühlen, Kinderfeste, langjähriges Hetzportal „mupinfo“ (pausiert gerade) etc.)
  • Aktuelle Wahlkampfthemen: „Für Volk und Heimat“, „einzige konsequente Alternative zu den volksfeindlichen Blockparteien“, „keine Einwanderung“, „Schutz unserer Frauen und Töchter vor Sexualstraftätern“, „Nein zur Bargeldabschaffung“, „bessere Ahndung und Bestrafung von Einbrechern“, „Nein zu TTIP/Ceta“, „Raus aus der EU und Nato“  usw.
  • Verhältnis zur AfD: Anfangs gab Frank Franz noch als NPD-Pressesprecher die Parole aus, die AfD sei „Türöffner und Eisbrecherfunktion“ für NPD-Themen. Heute sagt Udo Pastörs zu „Panorama“: „Schauen Sie sich Herrn Höcke an. Der kopiert meine Reden, fischt am rechten Rand, und ich gehe für meine Reden ins Gefängnis.“
  • Hat keine Direktkandidaten aufgestellt, also keine Konkurrenz mit der AfD bei den Erststimmen
  • Versucht eine Zweitstimmenkampagne gegen die AfD
  • versucht krude Diskreditierungskampagne, z.B. postet ein der NPD-Verband Westmecklenburg ein Foto einer Frau in einem Burka-ähnlichen Kleidungsstück, die ein AfD-Plakat anfasst („Zusendung aus Schwerin! Was soll man davon halten?“); die JN kommentiert, die von ihnen als Muslima wahrgenommene Frau gehöre nun auch zu AfD-Unterstützer_innen, wie auch schon Homosexuelle und Schwarze (in diskriminerender Sprache, vgl. Tagesspiegel)
  • Prognose: 4 Prozent
     

Die AfD in MV
 

  • Bundesweit sind Kandidaten der AfD Mecklenburg-Vorpommern bisher nicht  wahrnehmbar in Erscheinung getreten – weil sie sich nicht in Bundesstreitigkeiten eingemischt haben
  • Landesverband steht innerhalb der AfD eher weit rechts, aber mit „gemäßigter“ Spitze
  • Spitzenkandidat ist Leif-Erik Holm, aktueller AfD-Landesvorstand, ehemaliger Radiomoderator; gibt sich „heimatverbunden“ (vgl. Welt), ebenso wie Amtsrichter Matthias Manthei (ebenfalls AfD-Landesvorstand, zweiter Platz Landesliste; vgl. ZEIT)
  • Weitere AfD-Kandidaten sind weniger gemäßigt, etwa

o   Holger Arppe (ehemaliger AfD-Landesvorsitzender, verurteilt wegen Volksverhetzung im Internet, völkisch-nationalistisches Vokabular)
o   Petra Federau (rassistische Facebook-Postings, etwas bei der AfD in Ungnade gefallen, weil sie früher für einen Escort-Service in Abu Dhabi tätig war) (vgl. taz)
o    Ralph Weber (Jura-Professor der Uni Greifswald, trägt in der Uni „Thor Steinar“, promovierte einen bekannten Brandenburger Neonazis) (vgl. taz)
o   Jens-Holger Schneider (langjährige Kontakte zur Neonazi-Szene, Ordner bei MV-Gida, fotografiert Gegendemonstrant_innen bei AfD-Kundgebungen ab, vgl. BNR)

  • AfD tritt erstmals zur Landtagswahl.
  • AfD sitzt in allen 8 Landkreisen im Kreistag mit 22 Personen, bekam 4,2 Prozent der Stimmen bei der Kommunalwahl 2014
  • Aktuelle Wahlkampfthemen: Grenzen dicht („Stopp des Asylchaos“) , GEZ abschaffen, „Dexit“ (Austritt Deutschlands aus der EU), Merkel ist schuld mit „inländerfeindlicher Politik“; auf Landesebene Thema Familie und Schule, Sicherheit und Polizei
  • hat den „Schweriner Weg“ aufgegeben (Konsens aller Parteien, auch nicht auf Sachebene mit der NPD zu stimmen) und stimmt entsprechend auch mit der NPD, wenn es thematisch passt (schon praktiziert auf kommunaler Ebene, auf Landesebene angekündigt, vgl. Süddeutsche).
  • Prognose: 20 Prozent

 

P.S. Wer noch ein Argument gegen die Wahl rechtspopulistischer bzw. rechtsextremer Parteien braucht...

 

Alle Artikel auf netz-gegen-nazis.de zu

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Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern: Weniger NPD heißt nicht weniger demokratiefeindliche Inhalte

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Landtagwahl 2016: Die SPD bleibt stärkste Kraft in Mecklenburg-Vorpommern - gefolgt von der AfD.
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Landeswahlleiterin MV
http://www.mv-laiv.de/Wahlen/Landtagswahlen/2016/

In Mecklenburg-Vorpommern zog die AfD praktisch mit den gleichen Themen in den Wahlkampf wie die NPD (vgl. ngn). Sie war damit erwartbar erfolgreich und holte 20,8 Prozent der Stimmen und ist damit zweitstärkste Kraft im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Die NPD dagegen hat den Wiedereinzug nicht geschafft und ist nun in keinem deutschen Landtag mehr vertreten.
 

Von Simone Rafael und Carina Schulz
 

Mecklenburg-Vorpommern gilt schon seit Jahren als "Musterland" des deutschen Rechtsextremismus. Hier gibt es zum einen seit Jahren eine gezielte rechtsextrem-völkische Siedlungsbewegung, vor allem in Westmecklenburg: Neonazi-Familien aus der ganzen Bundesrepublik haben sich dort angesiedelt, um ihre Vorstellungen von völkischem, anti-moderenen Leben im dörflichen Zusammenhang umzusetzen, wo sie weniger Gegenwehr erwarteten als in städtischen Gebieten. Auch in Ostvorpommern sind Rechtsextremismus und Rassismus weit verbreitet: es ist ländlicher Raum, in dem nach dem Ende der DDR ein Vakuum entstand, dass die Demokratie nicht zu füllen wusste - die Rechtsextremen wie etwa die NPD aber schon. Zugleich kämpft die Region mit der Abwanderung junger, gut ausgebildeter Menschen (vgl. Interview mit Professor Dierk Borstel bei Focusngn).

Nun erleben wir offenkundig einen Wechsel in der Strategie, der symptomatisch für die Entwicklung von Rassismus, Islam- und Demokratiefeindlichkeit in Deutschland scheint: Der offene Rechtsextremismus, wie ihn die NPD in Mecklenburg-Vorpommern verkörpert, die immer eng und offen mit den neonazistischen Kameradschaften, Aktivist_innen und völkischen Siedler_innen verknüpft war, wird zurückgedrängt für eine salonfähige Variante vieler dieser Ideologie-Fragmente, wie sie die AfD bietet. Die verzichtet - zumindest offiziell als Partei - auf NS-Bezüge und offene Gewaltaufrufe, gibt aber Rassismus, Islamfeindlichkeit, Demokratiefeindlichkeit und auch Antisemitismus und Sexismus eine scheinbare neue Legitimität. Das kommt gut an in Mecklenburg-Vorpommern: Hier holt die AfD mit ganz ähnlichen Wahlkampfthemen wie die NPD 20,8 Prozent der Stimmen - die NPD ist dagegen mit 3 Prozent deutlich aus dem Landtag ausgeschieden. 2012 hatte die rechtsextreme Partei um Udo Pastörs noch 6 Prozent der Stimmen bekommen. Da gab es aber auch die AfD noch nicht. Deren Aufstieg ist in Mecklenburg-Vorpommern rasant: Noch zur Kommunalwahl 2014 kamen sie landeweit auf "nur" 4,2 Prozent der Stimmen (vgl. ngn). 

Ein weiterer interessanter Aspekt: Die Wahlbeteiligung lag bei dieser Wahl bei 61,6 Prozent, war damit 10 Prozent höher als 2011 (51,5 %). 

 

Die Ergebnisse der Landtagswahl 2016:

Die AfD
 

  • erhält 20,8 % der Zweitstimmen
  • wird damit zweitstärkste Kraft im Bundesland hinter der SPD. 
  • bekommt 18 Sitze im Landtag.
  • In den Wahlkreisen Mecklenburgische Seenplatte I - Vorpommern-Greifswald I, Vorpommern-Greifswald II, Vorpommern-Greifswald III und Vorpommern-Greifswald V ist die AfD die stärkste Partei.
  • Auf Usedom hat die AfD mit mehr als 32 % das höchste Wahlergebnis im ganzen Land erzielt.
  • Die AfD hat 3 Direktmandate erzielt (und 15 Listenmandate).
  • Erfolgreiche Direktkandidaten der AfD: Matthias Manthei (31,6 % der Erststimmen im Wahlkreis Vorpommern-Greifswald II), Ralph Weber (35,3 % der Erststimmen im Wahlkreis Vorpommern-Greifswald III) und Jürgen Strohschein (28,6 % der Erststimmen im Wahlkreis Vorpommern-Greifswald V) 
  • Andreas Rösler bekommt in seinem Wahlkreis Mecklenburgische Seenplatte V 25,9 % der Erststimmen. Er liegt damit weniger als einen Prozentpunkt hinter dem CDU-Direktkandidaten Lorenz Caffier und verpasst somit das Direktmandat knapp. 
  • Ergebnisse anderer AfD-Direktkandidat_innen (die wir im Artikel am Freitag näher beleuchtet hatten): Leif Erik Holm erhält in seinem Wahlkreis 23,1 % der Erstimmen; Holger Arppe: 12,4 %; Enrico Komning: 22,3 %; Nikolaus Kramer: 19,9 %; Christel Weißig: 19,6 %; Jens Kühnel: 22,8 % und Petra Federau: 19,8 %.
     

Die NPD
 

  • Die NPD zieht mit 3 % nicht in den Landtag ein, hat keine Listen- und auch keine Direktmandate erlangt.
  • Hatten bei der letzten Landtagswahl noch 40.642 Menschen die NPD gewählt (damals 6 % bei einer Wahlbeteiligung von 51,5%), waren es diesmal 24.365 Menschen (bei einer Wahlbeteiligung von 61,5%).
  • In ihren "Vorzeigeregionen" in Vorpommern ist die NPD weiterhin stark vertreten (bis zu 8,7% der Stimmen), die AfD dann aber auch. So holte etwa im Wahlkreis Vorpommern-Greifswald III (Usedom) die NPD 5,6 Prozent der Stimmen, die AfD ihr landesweit höchstes Ergebnis von 32,3 Prozent. In Vorpommern-Greifswald IV (Ueckermünde, Torgelow-Ferdinandshof usw.) kam die NPD zu ihrem landesweit höchsten Ergebnis von 8,7 Prozent der Stimmen - und die AfD bekam immer noch 24,5 Prozent. Im Wahlkreis Vorpommern-Greifswald V (Pasewalk, Strasburg, Uecker-Randow-Tal usw.) sind es 6,9 % NPD und 26,4 % AfD.

     

Erkenntnisse auf tagesschau.de zur Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern (Umfragen von infratest dimap):
 

Ansichten zum Thema Flüchtlinge:

  • "Es macht mir Angst, dass so viele Flüchtlinge zu uns gekommen sind." - Gesamt: 47 % stimmen zu; AfD-Wähler_innen: 86 % stimmen zu.
  • "Für Flüchtlinge wird mehr getan als für die einheimische Bevölkerung." - Gesamt: 46 % stimmen zu; AfD-Wähler_innen: 83 % stimmen zu.
  • „Habe die Sorge, dass der Einfluss des Islam zu stark wird.“ - Gesamt: 62 % stimmen zu; AfD-Wähler_innen: 96 % stimmen zu. 
  • „Habe die Sorge, dass die Kriminalität in Deutschland ansteigen wird.“ - Gesamt: 59 % stimmen zu; AfD-Wähler_innen: 91 % stimmen zu.

 

Quellen:

Ressorts (Netz gegen Nazis): 
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Monatsübersicht August 2016: Rechtspopulismus, AfD und Pegida

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Die AfD Charlottenburg-Wilmersdorf hat ziemlich viele ähnlich aussehende Menschen, die ihren Stand besuchen. Und warum ist am Brötchenproblem nicht gleich Angela Merkel schuld?
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Screenshot Facebook, 08.09.2016

AfD: Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin +++ Bund: Waffenbesitz soll nicht "kriminalisiert" werden, dafür abgelehnte Asylbewerber auf Inseln außerhalb Europas abgeschoben werden; Machtkampf geht weiter, Regieren oder provozieren? AfD und Teile der Geflüchteten in Deutschland stehen sich in Wertvorstellungen nahe. AfD-Anhängerschaft sind nun dominiert von jungen Männern aus Ostdeutschland. AfD Sachsen nutzt Auto mit Nazi-Code als Kennzeichen. AfD Baden-Württemberg versucht, ihre zwei Fraktionen gegen Linksextremismus zu nutzen. +++ Der neue Rechtspopulismus ist modern, visionär und perfekt kompatibel mit dem Internetzeitalter. +++ Der Scheinriese Angst +++ Rechte Slogans sickern in den Alltag +++ Populist_innen gegen Globalisierung: Ein Denkfehler +++ Pegida: Tatjana Festerling hat Ärger mit illegaler "Fortress Europe"-Demo in Berlin und Angst vor "Pokemon Go". +++ Aufreger: Hat Sachsen Geld an Pegida gezahlt?
 

Zusammengestellt von Simone Rafael
 

AfD
 

Bund

  • Die AfD setzt sich dafür ein, dass das Waffenrecht nicht verschärft, Waffenbesitz nicht „kriminalisiert“ wird, denn das wäre eine „Einschränkung von Bürgerrechten“. (sz-online)
  • Die Konrad-Adenauer-Stiftung analysiert das Programm der AfD und findet, die wolle überhaupt nicht regieren, sondern nur provozieren. Im Interview mit „Focus“ sagt der Leiter der Studie, Nico Lange: „Die AfD hat kein Programm vorgelegt, das konstruktiv auf der Grundlage bestimmter Wertvorstellungen Ideen zur Lösungen von wichtigen Problemen in Deutschland entwickelt. Es ist vielmehr ein Sammelsurium von Positionen, mit denen die AfD versucht, sich von möglichst allen anderen Parteien abzugrenzen.“ Etwa wolle sie die parlamentarische repräsentative Demokratie durch eine direkte Demokratie über Volksentscheide ersetzen: „Das ist typisch für rechtspopulistische Parteien. Diese gehen zumeist davon aus, dass in Volksabstimmungen die Mehrheit so abstimmt, wie sie es für richtig halten. Darin steckt ein anti-pluralistischer Geist.“
  • Machtkampf in der AfD: Wie sich Jörg Meuthen mit Björn Höcke verbündet, um eine Machtübernahme Petrys zu verhindern, beschreibt correctiv.org.
  • Irre Äußerung von Frauke Petry vor dem Parteikonvent in Kassel: Sie will abgelehnte Asylbewerber und illegal Eingereiste auf Inseln außerhalb Europas abschieben, die von den Vereinten Nationen (UN) geschützt werden. Außerdem solle das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in eine "Rückwanderungsbehörde" umgewandelt werden, die bringe „dann die illegalen Migranten und abgelehnten Asylbewerber auf zwei von der UN geschützte Inseln außerhalb Europas unter." Alleinreisende Männer sollten dabei von Familien und Frauen getrennt werden. "Das ist kostengünstiger und vor allem für die Frauen sicherer als die aktuelle Praxis", sagte Petry. Damit hatte sie Presse und Meuthen nicht (TagesspiegelWallstreet-Online).
  • Warum schadet der Führungsstreit der AfD nicht in den Umfragewerten vor den Landtagswahlen in MV und Berlin? Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer meint: Weil die Wähler nicht an der Partei hängen, sondern vor allem „dagegen“ wählen wollen, ist ihnen interner Streit egal (heute.de, vgl. wiwo).
  • Beim Parteikonvent in Kassel vertragen sich dann auch alle wieder. Es gibt keinen Sonderparteitag (tagesschau.de).
  • Die AfD will weniger Geflüchtete in Deutschland – dabei stehen einige von denen der Afd in den Wertvorstellungen eher nah, wie eine Studie jetzt zeigt: rigide Sexualmoral, Hang zu autoritären Führungsfiguren, repressive Einstellung gegenüber alternativen Lebensformen  (Welt).
  • Wer etwas gegen die AfD sagt, bekommt Ärger und Hass ab. So ging es auch dem „Terra X“-Fernsehmoderator Harals Lesch, der in einem Video das Wahlprogramm der Partei inhaltlich auseinandernahm. Er habe „sehr hässliche Hassmails“ bekommen, es folgten Beschwerden beim Intendanten des ZDF und bei Leschs Arbeitgeber, dem Präsidenten der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Leschs Antowrt: Eine neue „Terra X“-Folge „Die Psychologie hinter dem Hass“ (Welt.de).
  • Die CDU bricht eine absurde Diskussion über Burka-Verbot und Abschaffung des Doppelpasses vom Zaun – die AfD profitiert (Welt).
  • Die AfD-Anhängerschaft verändert sich: Als Bernd Lucke den Kampf um den Parteivorsitz verlor, war sein Traum von der Professoren-Partei ausgeträumt. Jung, männlich, ostdeutsch – das sind die Merkmale der Anhänger, welche die AfD jetzt besonders stark anzieht (FRn24). Die Anhänger der AfD fürchten den Islam, aber auch wirtschaftlichen Abstieg. Ihre Wähler sind eine flüchtige Gruppe junger Durchschnittsgebildeter (ZEIT)
  • AfD auf einer TTIP-Demo ​unerwünscht: Für einen gerechten Welthandel wollen am 17.9. in sieben Städten in Deutschland TTIP-Gegner_innen demonstrieren. Dabei erhalten sie Unterstützung von SPD, der Linken, den Grünen und der ÖDP – und von der AfD. Die will das Trägerbündnis allerdings nicht und distanziert sich deutlich: „Wir treten ein für eine solidarische Welt, in der Vielfalt eine Stärke ist. Die Freihandels-Kritik von rechts stützt sich auf völkisch-nationalistische Motive und damit auf Ausgrenzung und Abwertung von anderen, anstatt auf Solidarität zwischen Menschen. Uns geht es dagegen um die Verteidigung sozialer Rechte für alle, den Schutz der Umwelt und die Förderung der Demokratie. Rassistische, rechtspopulistische und antiamerikanische Positionen lehnen wir ab. Mitglieder von AfD, NPD oder anderen Gruppen, die unser Prinzip der Solidarität nicht teilen, sind auf den Demonstrationen ausdrücklich unerwünscht!“ Die AfD mobilisiert trotzdem weiter (heise.de)

 

Berlin – Wahlkampfzeit (Abgeordnetenhauswahl und Wahl der Bezirksverordnetenversammlungen, 18.09.2016)

  • Die AfD buhlt mit Broschüren in Russisch und Polnisch um Russlanddeutsche als Wähler_innen (BILD)
  • Eine Kandidatin der Berliner AfD schrieb früher für die taz und betrieb Konzertclubs wie die „Tanzschule Schmidt“. Jetzt ist Sibylle Schmidt aus der SPD ausgetreten, tritt für die AfD an. Schuld sei die „blauäugige Flüchtlingspolitik“ (tazTagesspiegel)
  • Mitglieder der AfD pflegen Kontakte zur neurechten „Identitären Bewegung“ – auch in Berlin (Berliner ZeitungSächsische ZeitungCorrectivKsta.de)
  • Erhält die AfD nach der Wahl kommunale Regierungsämter? Berlins Bürgermeister Michael Müller (SPD) fürchtet: Ja, in Bezirksvertretungen, als Stadträte mit Etats und Einfluss (F.A.Z., Berliner Morgenpost).

 

Mecklenburg-Vorpommern (Landtagswahl, 04.09.2016)

 

Baden-Württemberg

  • Die AfD hat im Landtag von Stuttgart aktuell zwei Fraktionen (vgl. Monatsrückblicke Juni, Juli). Nun soll ein Mediator als Schlichter sie wieder zusammenführen (Stuttgarter Zeitung).
  • Bis dahin versucht die AfD allerdings, mit der Macht von zwei Fraktionen einen Untersuchungsausschuss zum Linksextremismus in Baden-Württemberg durchzusetzen. Einen Untersuchungsausschuss muss mindestens ein Viertel des Parlaments fordern – oder aber zwei Fraktionen (heute.de).

 

NRW

  • Marcus Pretzell ist derzeit Landesvorsitzender der AfD in NRW und Europaabgeordneter. Er wollte selbstverständlich auch  als Spitzenkandidat in den Landtagswahlkampf 2017 ziehen – nun gibt es Konkurrenz: Das Mindener AfD-Kreistagsmitglied Thomas Röckemann präsentiert sich als Alternative zum in internen Machtkämpfen verstrickten Duo Petry/Pretzell. (bnr)
  • Der AfD-Kreisverband Rottweil / Tuttlingen postet auf Facebook einen Text, der besagt, dass "je mehr Migranten ersaufen" irgendwann auch der "letzte afrikanische Ziegenhirte" kapiere, dass es sich nicht lohne, nach Europa aufzubrechen. Weil die Empörung über diesen rassistischen Hasstext groß wurde, löschte die AfD das Posting, dann die ganze Facebook-Seite. Der Kreischef distanzierte sich und entschuldigte, der Admin sei noch in Urlaub und man wisse nicht, wer es geschrieben habe, vielleicht „irgendein Verrückter“. Irgendein verrückter mit Zugang zur AfD-FB-Seite, natürlich (Schwarzwälder BoteB.Z.Süddeutsche Zeitung)

 

Thüringen

  • Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke stellt als Pressesprecher Günter Lachmann ein, der als Reporter der „Welt“ wegen seiner AfD-Nähe unhaltbar wurde. Lachmann war für die AfD-Berichterstattung der „Welt“ zuständig und wollte zudem Frauke Petry für ein Honorar von 4.000 Euro im Monat „beraten“, was als Bestechlichkeit interpretiert und vom Petry-Lebensgefährten Marcus Pretzell öffentlich gemacht wurde. Als Affront gegen Petry ist nun auch wohl diese Einstellung gemeint (FAZZEITSpiegelThüringer Allgemeine)
  • In Thüringen kommentiert AfD-Hardliner Björn Höcke die jüngst ins Leben gerufene Dokumentationsstelle für Menschenrechte in Trägerschaft der Amadeu Antonio Stiftung, die Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und Islamismus im Land erforschen soll: „Hier entsteht in unseren Augen nichts weiter als eine Thüringer Kulturkammer“, so Höcke am Montag in Erfurt. Die Dokumentationsstelle stehe in einer Tradition der Reichskulturkammer von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels. Ihr Ziel sei, konservative, patriotische und liberale Auffassungen zu diffamieren. Über die Reichskulturkammer wurden in Nazi-Deutschland Intellektuelle und Künstler gleichgeschaltet. (Thüringen24).
  • Die taz veröffentlichte ein Foto von Björn Höcke mit ausgestrecktem rechten Arm und sah darauf einen Hitlergruß. Dass darf sie nun, wie das Gericht? Entschied, nicht mehr tun. Das Foto darf sie allerdings weiter veröffentlichen (Thüringer AllgemeinetazThüringer Allgemeine).

Sachsen

  • Ein Wagen mit aufgeklebter AfD-Werbung zeigt sich auf dem Schönauer Parkfest. Das Kennzeichen des Wagens: L-AH 1818. Die AfD sagt: Nur ein Kennzeichen. Andere erkennen rechtsextremen Buchstaben- und Zahlencodes: „Leibstandarte Adolf Hitler“ und die 18 steht auch wieder für AH = Adolf Hitler (MorgenpostMDR)
  • Nachdem Frauke Petry die Unterbringung von abgelehnten Geflüchteten auf Inseln vor Eurpoa gefordert hatte (s.o.), zog ihr Landesverband auf lokaler Ebene nach und forderte die Unterbringung von Geflüchteten in Lagern, eine Kasernierung als "Unterbringung in Lagern mit eingeschränkter Bewegungsfreiheit“. Dies stieß auf den Protest der anderen Parteien (Welt).

 

Internet

  • Neuester Lacher der AfD: In Berlin hat ein Mitglied mit Zugang zum offiziellen Twitter-Account  offenbar Probleme mit der Brottheke bei Lidl und kommt nicht an seine Schrippen. Und twittert darüber:  Daran ist der Mindestlohn schuld! Verstehen Sie nicht? Das Internet findet Erklärungen (maz). Die AfD löschte, aber zu spät. Aber ist die AfD überhaupt für Mindestlohn? Auf Bundesebene schon. In Berlin aber zum Beispiel nicht (sternmerkur).
  • Vielleicht sollte die AfD Berlin über ihren Internet-Gebrauch nachdenken: Kurz darauf lachte das Netz schon wieder, da offenbar die Anzahl der Besucher_innen an einem Wahlkampfstand mit Photoshop verdoppelt wurden (BILD)

 

Rechtspopulismus
 

 Der neue Rechtspopulismus…

… ist modern, visionär und perfekt kompatibel mit dem Internetzeitalter, schreibt Matthias Drobinski in der Süddeutschen Zeitung.  Obwohl er in der Minderheit ist, prägt er die Debatte. Während alle demokratischen Parteien universalistisch ausgerichtetet sind – Würde, Menschenrechte, Sozialpolitik gelten für alle Bürger_innen gleich – will der Rechtspopulismus diese Gleichheit beenden.  Er denkt partikularistisch: Solidarität, Gleichheit und Gerechtigkeit erst einmal nur innerhalb der gleichen Gruppe. Kulturen und Identitäten nicht vermischen, nationale Interessen sich wichtiger als internationale, Fremde sollen draußen bleiben.  Das ist nicht konservativ, sondern die Forderung nach einer anderen Gesellschaft: Nach innen harmonisch und homogen, nach außen wehrhaft und abgeschlossen. Diese imaginierte Gesellschaft ist allerdings ein hochgradig instabiles Produkt, das ständig aggressiv gegen Gefahren von außen verteidigt werden muss: Frieden und Wohlstand gibt es so nicht.

"Panikmache":Der Scheinriese Angst

Pegida, Lügenpresse-Rufe, hitzige Gerüchte: Viele Deutsche wenden sich vom System ab. Das liegt an ihrer Zukunftsangst. Ein Vorabdruck aus dem neuen Buch "Panikmache" von Jürgen Schindler in der ZEIT. Darin schreibt er etwa: „Alles Rassisten? Alles überzeugte Rechte? Man darf es bezweifeln. Eher ein "Verbitterungsmilieu", wie es der Soziologe Heinz Bude ausdrückt. Und diese Verbitterung ist das womöglich letzte verbindende Element zweier ansonsten immer weiter auseinanderdriftender Gruppen: der ängstlichen Mitte und der Abgehängten. Die Fremden, die plötzlich in immer größerer Zahl Zuflucht in Deutschland suchten, kamen beiden Gruppen gerade recht. Mit PI, Pegida, AfD und all den anderen Rechtspopulisten und Islamfeinden standen zudem die Manipulateure der Angst in großer Zahl parat, um sie weiter zu befeuern. Und dass selbst aus der etablierten Politik, allen voran der CSU, regelmäßig dumpfe Parolen zu Masseneinwanderung und Terrorgefahr in die Debatte geworfen wurden, konnte nur allzu leicht als Ermutigung zur Ausgrenzung verstanden werden. All die diffusen Ängste, welche die Menschen in den vergangenen Jahren plagten, nahmen mit den Flüchtenden endlich konkrete Gestalt an. Im Fremden, im muslimischen Fremden fanden die Bürger den ersehnten Sündenbock.
 

Rechte Slogans sickern in den Alltag

Sprachexperten beobachten eine Verrohung unserer Sprache. Begriffe wie "Lügenpresse" und Volksverräter" sind nicht mehr nur den ganz Rechten vorbehalten, sagen sie. «Dreckspack», «schwarze Affen», steht da in Posts auf Facebook, und «Dachau muss wieder aufgemacht werden». Für alle sichtbar, frei zum Liken, Teilen, Übertrumpfen. Die Aussagen von Anhängern der AfD oder Pegida, das beobachtet Heidrun Kämper vom Institut für Deutsche Sprache, haben große Nähe zur NS-Sprache - und auch zur NS-Wirklichkeit. Es braucht für eine Verrohung der Sprache also keine neuen Wörter, die extremer wären als je zuvor. Und diese Verrohung macht auch nicht bei Rechtsextremen Halt. (Augsburger Allgemeine).
 

Populist_innen gegen Globalisierung: Ein Denkfehler

Die Populisten verdammen die Globalisierung und feiern den Nationalstaat.  Das Problem ist aber nicht die Globalisierung an sich – die führt nämlich weltweit zu mehr Wohlstand. Allerdings ist er bisher ungerecht verteilt . Daran müsste Politik arbeiten (ZEIT)

 

Pegida
 

Tatjana Festerling

  • Ermittlungen gegen Ex-Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling nach illegaler „Fortress Europe“-Demonstration am Reichstag in Berlin: Ex-Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling hat vor dem Reichstag in Berlin mit rund einem Dutzend Personen gegen den Islam demonstriert. Ihr droht nun ein Bußgeld bis zu 20.000 Euro, weil die Demo von Festerling und ihrem Mitstreiter Edwin Wagensveld nicht angemeldet war.Unterstützer_innen ihrere Organisation „Fortress Europe“ waren am 29.07.2016 an mehreren Stellen der Hauptstadt aufmarschiert, am Bundestag, am Bundeskanzleramt. am Brandenburger Tor. Die Veranstalter selbst sprachen von einer "Guerilla-Aktion". Auf Transparenten forderten sie unter anderem "Erdogan-AKP-Türken: Haut ab!", "Kein Islamunterricht an deutschen Schulen" und "Islamverbot: jetzt!". Vor dem Reichstag traten zwei der Aktivisten vermummt auf (Tagesspiegel).
  • Als nächstes mobilisiert „Festung Europa / Fortress Europe“ nach Dresden am 03. Oktober (Blick nach rechts).
  • Tatjana Festerling hatte im letzten Monat massiv für rechtsextreme bulgarische Milizen gemacht, die an der Grenze Jagd auf Geflüchtete machen (ngn berichtete). Eine taz-Reportage illustriert, wie diese Milizen agieren.
  • Tatjana Festerling findet allerdings anderes viel gefährlicher: Nämlich das Handyspiel „Pokemon Go“. Warum? Die Verschwörungsfreund_innen ahnen es sicher schon, Festerling schreibt auf Facebook es: „Wenn wir davon ausgehen, dass wir uns bereits mitten in einem mit modernsten Methoden geführten Krieg gegen unsere Kultur und vor allem gegen unsere Freiheit befinden, einem Krieg, in dem Waffen wie Massenmigration und der Islam als Instrument zur Massenvernichtung gegen uns gerichtet werden, dürfen wir so etwas wie „Pokemon Go“ nicht aus den Augen verlieren. Im Gegenteil: Dieses infantil anmutende „Spielchen“ sollten wir ebenfalls als eine gegen unsere Menschlichkeit gerichtete Waffe betrachten. Eine psychologische Waffe, die besser und „nachhaltiger“ als Drogen, Ritalin und andere durch DSM-5 legitimierte Psychopharmaka wirkt und vor allem auf mehreren Ebenen süchtig macht. Diese „Waffe“ bindet den Verstand und lenkt Energie und Konzentration um auf virtuelle Monster in der realen Welt. Wie im Film Matrix verschmelzen die reale und virtuelle Welt (…). Diese als Spiel getarnte Waffe ist erst der Beginn im Krieg gegen das, was den Menschen ausmacht. Es geht um die Entkoppelung der Menschen von ihrer Wahrnehmung, ihren Gefühlen, ihrer Intuition, ihrem Glauben, ihrer Spiritualität und allem Metaphysischen, der Sehnsucht nach Weiterentwicklung, dem Streben nach Glück im Höherem. Es geht darum, die Menschen zu emotions- und intelligenzsbefreiten, fressenden und fickenden Zombies zu degenerieren.“ Was wohl ein Arzt dazu sagen würde? (mopo24)

 

Pegida-Demonstrationen

München

01.08.2016: Kundgebung auf dem Odeonsplatz vor etwa 140 Sympathisanten; beim anschließenden Demonstrationszug verhöhnten Pegida-Mitstreiter vor dem Hotel Vier Jahreszeiten einen Hotelgast wegen seiner Hautfarbe und beschimpften Hotelgäste aus dem arabischen Raum. (MerkurBNRAbendzeitung)

11.08.2016 Pegida-Kundgebung am Stachus, 50 Teilnehmende (Abendzeitung)

 

Dresden

01.08.2016 Zwischen 2.100 und 2.700 Teilnehmer_innen (laut „Durchgezählt“)
15.08.2016 „Picknick“ von zwei Dutzend jungen Leuten auf dem Altmark ärgert 2.700 Pegida-Teilnehmer_innen (dnn)
22.08.2016 Zwischen 2.500 und 3.000 Teilnehmer_innen bei Pegida (laut „Durchgezählt“, SZ)
29.08.2016 Zwischen 2.900 und 3.300 Teilnehmer_innen bei Pegida (laut „Durchgezählt“)

 

Leipzig

​Legida-Anhänger terrorisieren Grünen-Landeschef: "Man will mich in meiner Existenz zerstören": Jürgen Kasek ist für Legida eine Hassfigur. Anhänger der Islamfeinde bedrohen Sachsens Grünen-Chef und seine Familie, sabotieren den Anwalt beruflich. Die Welt hat die Bedrohungen aufgeschrieben. Unter anderem haben im Zuge der  Hass-Kampagne gegen den Grünen-Politiker Jürgen Kasek (Unbekannte im Namen des Grünen-Landtagsabgeordneten Valentin Lippmann eine falsche Strafanzeige gegen Kasek gestellt. Lippmann geht juristisch dagegen vor, das Problem bleibt: Solche Art von kräftebindendem Mobbing ist möglich (dnn) Vor Gericht stimmt Ende August Legida dann einem Vergleich zu:  Sie dürfen nicht mehr behaupten, Kasek habe mit dem Übergriff auf einen Legida-Ordner am 04. Juli 2016 zu tun (LVZ).

 

Weitere:

  • Thügida (Jena): Am 17.08.2016 (Todestag von Rudolf Hess), 180 Teilnehmende, dabei: Fackeln und ein Sarg mit der Aufschrift „Antifa“; massive Gegenproteste (n-tvThüringer Allgemeine)
  • In Duisburg demonstriert Pegida künftig nur noch ein Mal im Monat (RadioDuisburg; Hintergrund: derwesten).
  • Am 22. September will Pegida wieder in Fürth aufmarschieren (Nordbayern.de).
  • Der Organisator von „Pegida Kassel“ wird wegen antisemtischem Hetz-Post zu 4.500 Euro Strafe verurteilt (vgl. Monatsüberblick Antisemitismus)

Internet:

  • Facebook sperrt Lutz Bachmanns Seite (11.000 Fans); der mach dafür eine „Stasi-Seilschaft“ verantwortlich und gründet abends eine neue Seite (dnn).
  • Siehe auch Tatjana Festerling und „Pokemon Go“ als Waffe
     

Aufreger: Hat Sachsen Geld an Pegida gezahlt?

Dies fragte als „Kleine Anfrage“ der AfD-Abgeordnete Carsten Hütter. Er vermutete, der Freistaat Saachsen habe Geld an das Pegida-Orga-Team gezahlt. Hütter meint: „Es gibt ein verbrieftes Recht auf Versammlungsfreiheit, ohne Einfluss durch den Staat. Sollten hier tatsächlich Gelder geflossen sein, sieht es eben genau nach dieser Einflussnahme aus.“ Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) hatte sich im Januar 2015 mit den damaligen Mitgliedern des Pegida-Organisationsteams, Kathrin Oertel und Achim Exner, getroffen. Über die Inhalte des Treffens wurde Stillschweigen vereinbart. Doch alle Gerücht von einem Deal zwischen sächischen Politikern und Pegida (à la „Wir zahlen Geld und ihr demonstriert weniger“) waren schlichter erlogen (mopo24taz, Auflösung: Tagesspiegelmdr)
 

Pegida-Verein hat Mitorganisatoren kein Geld gezahlt

Ebenfalls kein Geld gezahlt hat der Pegida-Verein an Pegida-Mitbegründer Achim Exner und René Jahn. Die hatten allerdings Geld ausgelegt und warten noch auf die Erstattung – und sind nun sehr unzufrieden (mopo24)

Pegida International: 

Prag: Rechtspopulisten täuschen islamistischen Anschlag vor und nennen das "Absurdes Theater"

Auf dem Altstädter Ring in Prag besetzen Menschen, die sich als Mitglieder des „Islamischen Staats“ präsentieren, den zentralen Marktplatz der Prager Altstadt. Dabei: Ein als Beduine verkleideter Mann auf einem Kamel und ein Militärfahrzeug, aus dem Männer in langen Mänteln und mit schwarzen Vollbärten „Allahu Akbar“ schrien und in die Luft schossen. Dann verkündeten sie, Tschechien sei nun besetzt und ab sofort würde die Scharia gelten. Passanten auf dem Platz gerieten in Panik und versuchten, zu flüchten. Dabei verletzten sich mehrere Menschen. Die Akteure, die ihre islamfeindliche Hetze als „Absurdes Theater“ rechtfertigen wollten: Eine Gruppe bekannte Islamfeinde um Martin Konvicka. Der unterhält Beziehungen zur „Pegida“-Bewegung. (DWBerliner Zeitung).
 

Mehr Menschenfeindlichkeit aktuell, August 2016:

| Menschenfeindlichkeit August2016: Rassismus und Feindlichkeit gegen Flüchtlinge
| Menschenfeindlichkeit August2016: Antisemitismus
| Menschenfeindlichkeit August2016: Homofeindlichkeit und Sexismus
| Menschenfeindlichkeit August2016: Islamfeindlichkeit
| Menschenfeindlichkeit August2016: Rechtspopulismus - AfD und Pegida
| Menschenfeindlichkeit August2016: Internet
 

Alle Artikel zum Thema

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 Neue Rechte

 

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Wahl des Abgeordnetenhauses in Berlin 2016: AfD bei 14,2 Prozent, in allen Parlamenten vertreten

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Dies ist die Facebook-Seite des AfD-Kandidaten Kay Nerstheimer, der in Lichtenberg direkt gewählt wurde: Kreuzritter-Foto, zähnefletschende Wölfe als Crew ("Umgibt Dich mit Leuten, die dasselbe Ziel haben wie Du") und das Posting zeigt das Diskussionniveau, dass offenbar bei Berliner AfD-Wähler_innen ankommen.
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Screenshot Facebook, 19.09.2016

Am Sonntag, den 18.09.2016, war die Wahl des Abgeordnetenhauses in Berlin. Auch hier konnte die AfD zahlreiche Stimmen gewinnen, kommt insgesamt auf 14,2 Prozent der Zweitstimmen und fünf Direktmandate. Während die Mitte der Stadt demokratisch, weltoffen und vielfältig wählt, offenbaren die oft weniger multikulturell besiedelten Ränder der Stadt, dass auch hier menschenfeindliche Positionen punkten konnten, wo der positive Kontakt zu Vielfalt fehlt.
 

Von Simone Rafael
 

Das Ergebnis der Wahl des Abgeordnetenhauses:

SPD 21,6 % = 38 Sitze (2011: 47)
CDU 17,6 % = 31 Sitze (2011: 39)
Die Linke 15,6 % = 27 Sitze (2011: 19)
Die Grünen 15,2 % = 27 Sitze (2011: 29)
AfD 14,2 % = 25 Sitze (2011: 0)
FDP 6,7 % = 12 Sitze (2011: 0)
Piraten 1,7 % = 0 Sitze (2011: 15)
NPD 0,6 %  = 0 Sitze
Pro Deutschland 0,4 % = 0 Sitze
 

Wahlbeteiligung: 66,9 % (2011: 60,2 %)
 

Wahl der Bezirksverordnetenversammlung
 

  • AfD erhält 13,6 % der Gesamtstimmen, sitzt in allen 12 Bezirksverordnetenversammlungen
  • Pro Deutschland erhält 0,6 % der Gesamtstimmen
  • NPD erhält 0,4 % der Gesamtstimmen

5 AfD-Kandidaten wurden direkt gewählt

  • Kay Nerstheimer - 26 % der Erststimmen - Wahlkreis Lichtenberg 1
  • Gunnar Lindemann - 30,6 % -  Marzahn-Hellersdorf 1
  • Jessica Bießmann - 29,8 % - Marzahn-Hellersdorf 3
  • Frank Scholtysek - 23,8 % - Treptow-Köpenick 3
  • Christian Buchholz - 22,4 % - Pankow 1

Interessant dabei vor allem Kandidat Kay Nerstheimer. Der wollte, aus Bundeswehr-Kreisen kommend und damals noch Mitglied bei der islamfeindlichen Partei "Die Freiheit", im Jahr 2012 die islamfeindliche "German Defence League" zu einer militanten Terrororganisation umbauen, weil er sich im Krieg gegen den Islam wähnte. Auch sein heutiges Facebook-Profil (siehe oben) beinhaltet noch die Kreuzritter-Symbolik, die die "German Defence League" nutzt (vgl. ausführlichen Bericht mit Screenshots bei Publikative.org.).

 

Wo kommen die AfD-Wähler_innen her?

  • 69.000 waren 2011 Nichtwähler_innen
  • 39.000 waren 2011 CDU-Wähler_innen
  • 24.000 waren 2011 SPD-Wähler_innen
  • 12.000 waren 2011 Piraten-Wähler_innen
  • 12.000 waren 2011 Die Linke-Wähler_innen
  • 4.000 waren 2011 Grünen-Wähler_innen

Kurzum: Rassistische und elitenfeindliche Ressentiments punkten unter Anhänger_innen aller Parteien, in der Mitte der Gesellschaft.
 

Wo sind die AfD-Hochburgen?

Die meisten Wähler hatte die AfD im Osten Berlins, vor allem im Bezirk Marzahn-Hellersdorf. Kaum woanders in der Hauptstadt sind so viele Menschen von Sozialhilfe abhängig. Im dortigen Wahlkreis 1 holte sie mit 23,6 Prozent ihr bestes Ergebnis. Sechs Mal wurde die Partei stärkste Kraft, in fünf Wahlkreisen gewannen ihre Kandidaten das Direktmandat. Ebenfalls stark ist sie in Treptow-Köpenick (20,5 %), Lichtenberg (19 %) und Teilen von  Pankow (bezirksweit 13,8 %, in einigen Wahlkreisen über 22 %). Aber auch der "abgehängtere" Westen ist dabei: in Reinickendorf bekam die AfD 16,4 % der Zweitstimmen, in Spandau (16,6 %). In den zentralen Stadtteilen Berlins konnte die AfD nicht punkten.
 

Quellen:

 

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Pegida, quo vadis? Heute: Schleswig-Holstein

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Im Netz noch aktiv, aber viele Fans haben sie nicht: "Kigida" aus Kiel
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Screenshot Facebook, 13.09.2016

In vielen Bundesländern gab und gibt es Ableger von Pegida. In Schleswig-Holstein gab es bislang noch keine Pegida-Demonstration. Wir sprachen mit Antja Groeneveld vom Beratungsnetzwerk Rechtsextremismus in Schleswig Holstein darüber,  was Gründe dafür sein könnten, und über die rechtsextreme Szene von Schleswig Holstein.  In loser Serie betrachtet die Amadeu Antonio Stiftung auf netz-gegen-nazis.de die "Gidas" der Bundesländer - auch unter Gender-Aspekten.
 

Das Interview führte Jan Riebe.
 

In Schleswig Holstein hat es bislang keine Pegida-Demonstration gegeben. Warum?

Es hat durchaus Versuche gegeben, Pegida auch in Schleswig -Holstein zu etablieren. So wurde 2015 ausgerechnet für den 27. Januar, den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, die erste „Kigida“-Demonstration für Kiel angemeldet. Davor war „Kigida“ schon in den Sozialen Netzwerken aktiv. Den anvisierten Sprung aus den Sozialen Netzwerken auf die Straßen von Kiel hat es aber dann doch nicht gegeben. Die Demonstration wurde im Vorfeld wieder abgesagt. Was genau zur Absage geführt hat, wissen wir nicht. Womöglich wurde der Anmelder geoutet und zog sich daraufhin zurück. Trotz der Absage gab es eine große Gegendemo mit fast 10.000 Teilnehmenden.

Bei Facebook war „Kigida“ weiter aktiv, noch bis mindestens Mitte Juni 2016 - allerdings mit mehr als bescheidenem Erfolg. Nur knapp über 250 Personen haben die Seite auf Facebook geliked. Ende März 2015 gab es einen zweiten Versuch, „Kigida“  auf die Straße zu bringen. Diesmal fand sich ein anderer Anmelder. Aber auch dieser Demo-Versuch scheiterte schon im Ansatz. Der Anmelder, ein Student, wurde an der Hochschule geoutet. Daraufhin zog er sich zurück. Neben „Kigida“ existiert noch „SH-Gida“ (SH steht für Schleswig Holstein). Hier scheint man eine andere Linie zu fahren. Im Gegensatz zu „Kigida“ war „SH-Gida“ nur ganz kurz aktiv und das auch nur im Netz.

 

Wenn die Gida-Demonstration in Schleswig-Holstein so gefloppt sind, gab es quasi als Ersatz andere Formen der rassistischen Mobilisierung in Schleswig-Holstein?

In Sozialen Netzwerken im Internet haben sich Personen aus kleineren Orten zu Gruppen („SH wehrt sich“) zusammengetan.  Diese sind insbesondere im Zug der Flüchtlings- und Asyldebatte entstanden. Aktuell nach dem Amoklauf in München, den Terroranschlägen in Nizza, aber auch in Ansbach und Würzburg  stellen wir hier eine stärkere Aktivität der Gruppen fest. Es gibt auch einige Neugründungen. Dies ist aber weitgehend auf Facebook beschränkt. Lediglich zwei Gruppen, die Grundgruppe „Schleswig-Holstein wehrt sich“ und „Neumünster wehrt sich“ haben bislang versucht, eigene Demonstrationen auf die Beine zu stellen.

 

Wie sind die Demonstrationen abgelaufen?

Unter dem Motto "Neumünster wehrt sich" demonstrierten am 14.11.15 etwa 80 Personen gegen „Asylbetrug“, „Masseneinschleusung“ und „Islamisierung unserer Gesellschaft. Die Demonstration war der erste gelungene Versuch der rechten Szene seit 2012, in Schleswig-Holstein landesweit zu einer Veranstaltung zu mobilisieren. An der Demonstration selber nahm eine Mischung an Personen teil: „besorgte Bürger“ wie organisierte Rechtsextreme. Letztere aus Lübeck, Herzogtum Lauenburg und Neumünster. Aus Neumünster nahm beispielsweise auch der NPD-Ratsherr Mark Proch teil (vgl. BNR). Dennoch zeigt die Zahl von 80 Teilnehmenden, dass es eben nicht gelang, viele „besorgte Bürger“ neben der Naziszene zu mobilisieren. Der Misserfolg beschränkte sich nicht nur auf dieaus ihrer Sicht mangelnde Mobilisierung. Die Demonstration wurde zudem  wegen Blockaden nach wenigen Metern beendet. Insgesamt nahmen an der Gegendemo vier bis fünfmal so viele Personen teil, wie an der „Neumünster wehrt sich“-Demo. Es gab drei erneute Demo-Mobilisierungen von „Neumünster wehrt sich“,  die kurz vorm Aufmarsch dann wieder zurückgezogen wurden. Wir vermuten, dass die lokalen Bündnisse gegen Rechts mürbe gemacht werden sollte. In Neumünster gibt es drei sehr aktive Bündnisse, die die Naziszene beobachten und regelmäßig Gegendemonstrationen veranstalten. Daher sehen wir das als eine gezielte Strategie der rechten Szene, zu Demonstrationen zu mobilisieren und diese dann wieder abzumelden.

Neben „Neumünster wehrt sich“ gab es noch den Versuch einer Demonstration in Kiel von „Schleswig Holstein wehrt sich“. Diese Demonstration hat letztendlich aber nicht stattgefunden. Wir vermuten, dass sie es nicht geschafft haben, genug Leute zu mobilisieren.
 

Gab es bei der Demonstration Auffälligkeit in Bezug auf Geschlecht?

In Naziszene in Neumünster ist sehr männerdominiert. Dies spiegelte sich auch bei deren Demonstration am 14. September 2015 wider. Maximal ein Drittel der Teilnehmenden waren Frauen. Eine Inszenierung von Geschlecht durch Reden, eine bestimmte Art des Auftretens oder sei es auch nur durch die Übernahme von Ordnerinnen-Aufgaben, Tragen des Fronttransparents oder ähnlicher Dinge konnten wir nicht feststellen.

 

Ist Neumünster das Zentrum der rechtsextremen Szene in Schleswig Holstein??

Dass die erste Demonstration der rechten Szene in Schleswig-Holstein seit 2012 ausgerechnet in Neumünster stattfand, ist nicht verwunderlich. Neumünster hat eine sehr aktive, auch reisefreudige und vernetzte rechte Szene. Neumünster ist ja auch geschichtlich ein wenig der norddeutsche Verteiler der rechten Szene gewesen durch den „Club 88“. Das hat sich ein Stück weit bis heute gehalten. Der „Club 88“ ist zwar nicht mehr da, aber dafür gibt es den Nachfolger, die Kneipe „Titanic“. Und im „Titanic“ findet die Vernetzungsarbeit scheinbar weiter überregional statt. Aber es ist nicht nur Neumünster, es gibt auch andere Schwerpunktregionen der rechten Szene, so Dithmarschen und Herzog Lauenburg. Aber geschichtlich, traditionell ist Neumünster schon ein wenig die Schwerpunktregion der rechten Szene in Schleswig-Holstein

 

Du hast erwähnt, dass Mobilisierungen maßgeblich über Soziale Netzwerke im Internet stattfinden. Welche Rolle spielt das Internet denn für die lokale rechte Szene?

Soziale Netzwerke spielen für die rechte Szene eine sehr wichtige Rolle. Gerade im ländlichen Raum ist hierdurch die Vernetzung, der Austausch viel einfach zu gewährleisten als im alten herkömmlichen Sinne. Auch die Propaganda lässt sich so schnell und kostengünstig weit verbreiten. Nach den Ereignissen von Nizza und dem Amoklauf von München gründeten sich  viele kleine „wehrt sich“-Gruppen bei Facebook. Da mischen meist Nazikader mit, so auch in Neumünster. Hier ist der NPD Ratsherr Mark Proch aktiv (lässt sich das belegen?). In der Facebook-Gruppe besteht auch ein Kontakt zu „MV-Gida“ und „Wehrt Euch“-Gruppen in Mecklenburg-Vorpommern und Einzelpersonen aus der dortigen Naziszene. Also die Vernetzung ist nicht auf Schleswig-Holstein beschränkt.  Aber auch bei den Aufmarschversuchen von „Kigida“ haben die Sozialen Netzwerke eine wichtige Rolle gespielt.

 

Als wir in der Amadeu Antonio Stiftung angefangen haben, flüchtlingsfeindliche Gewalt in einer Chronik zu dokumentieren, ist Schleswig-Holstein anfänglich mit sehr wenigen Gewalttaten positiv aufgefallen. Unser Eindruck ist aber, dass das aktuell nicht mehr so zutrifft. 2015 haben wir 29 Angriffe auf Asylsuchende und ihre Unterkünfte in Schleswig-Holstein registriert. Im laufenden Jahr waren es bis Mitte Juli schon 21. Die Gewalt nimmt also zu. Ist das auch euer Eindruck?

Ja, sie nimmt zu. Damit einher geht, dass lokaler Nazistrukturen versuchen, Bürgerversammlungen zu Geflüchtetenunterkünften inhaltlich zu dominieren. Sowohl NPD-Spektrum, als auch der „Wehrt Euch“-Gruppen besuchen solche Bürgerversammlungen – aber nicht als offene Nazis, sondern als „besorgte Bürger“. Das ist keine ganz neue Entwicklung, aber aktuell immer beliebter.

Zudem stelle ich fest, dass die Angriffe auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte in der Bevölkerung gar nicht mehr als was so besonderes wahrgenommen wird. Es gibt einen Gewöhnungseffekt. Eine erschreckende Entwicklung.

 

Um nochmal auf Pegida zurückzukommen. Warum ist das Prinzip Pegida in Schleswig-Holstein bislang gefloppt?

Eine Erklärung scheint interner Streit zu sein. Es hat  ja zwei verschiedene Anmelder bei „Kigida“ gegeben hat. Diese sollen sich derartig gestritten haben, dass es die ganze interessierte Szene in verschiedene Gruppierungen gespalten hat. Durch den Streit waren sie nicht aktionsfähig gewesen.

Auch nehmen wir eine Veränderung in der rechtsextremen Szene wahr. Bestimmte Nazis aus bestimmten Zusammenhängen  tauchen immer wieder gemeinsam auf, mit bestimmten anderen Nazigruppierungen sieht man sie aber nicht gemeinsam. Früher war die rechtsextreme Szene durch kleine, gewaltbereite Aktionsgruppen geprägt. Diese gibt es zum Teil gar nicht mehr. Da muss es interne Auseinandersetzungen gegeben haben. Denn gemeinsam agieren sie nicht mehr.

 Die Streitigkeiten scheinen die rechtsextreme Szene in Schleswig-Holstein zu lähmen. Dabei hätten wir erwartet, , dass sie sich zumindest beim Thema Geflüchtete einig sind. Wenn dies der Fall wäre, hätten sie mehr Kraft auf der Straße. Sie sind ja weitaus mehr, als die wenigen, die derzeit auf die Straße gehen. Zudem nehmen wir einen Strategiewechsel wahr. Rechtsextreme versuchen verstärkt, in Kommunalparlamenten Fuß zu fassen. Bei den letzten Kommunalwahlen gelang es der NPD nicht nur in Kiel, sondern auch in Neumünster und Herzogtum Lauenburg, ins Kommunalparlament gewählt zu werden. Sie versuchen sich also mehr als früher in die Kommunalpolitik einzumischen, aber auch via den „Wehrt sich“ – Gruppen aktiv zu bleiben.
 

Wie sieht es mit dem Gegenprotest aus? Wie erfolgreich ist er gegen rassistische Mobilisierungen in Schleswig Holstein?

Tatsächlich hat die Geflüchteten-Debatte, anders als bei den Nazis, stark mobilisierende Wirkung auf die Anti-Nazi-Protestbewegung gehabt. Bei den Anti-„Kigida“-Protesten lässt sich das ganz gut ablesen. An der ersten Gegendemo nahmen 10.000 Demonstrant_innen teil, an der zweiten 3-4.000 Personen. Das Motto der ersten Gegendemo war „Das ist unsere Stadt. Die Kielregion ist weltoffen“. Das Motto hat viele bewegt, gegen die Weltsicht von „Kigida“ auf die Straße zu gehen. Viele Promis in der Stadt haben sich öffentlich positioniert gegen „Kigida“. Da ist was passiert, was wir schon seit Jahren an Mobilisierung gegen Nazis in Kiel nicht mehr hatten.

Neumünster ist in diesen Zusammenhang auch sehr auffällig. Hier ist die Anti-Nazi-Szene sehr aktiv. Wenn dort ein Hakenkreuz gesprüht oder geklebt wird, das ist garantiert am nächsten Tag nicht mehr da. Die drei Bündnisse gegen Nazis in Neumünster sind äußerst aufmerksam. Und da ist mein Eindruck, es liegt ein ganzes Stück an der Stärke dieser Bündnisse, dass in Neumünster nicht mehr ganz so viel möglich ist. Da hat sich tatsächlich was verändert.
 

Was sind Gründe, dass der Gegenprotest stärker geworden ist? Gibt es bestimmte Konzepte die in Schleswig Holstein erfolgreich sind?

Das hängt auch mit dem Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus zusammen. Es ermöglicht, dass hier verschiedene Menschen, Institutionen, Gewerkschaften, unterschiedliche Ministerien, aber auch LKA und zivilgesellschaftlichen Institutionen, zusammen sitzen. So werden viele Informationen weitergegeben, Gespräche sind möglich, wo es vorher keine gab. Die Debatte um Geflüchtete hat nochmal zusätzlich Leute dazu gebracht, die sich für gelebte Vielfalt einsetzen. Ich glaube,  das der Ansatz des Beratungsnetzwerk ein guter für Schleswig-Holstein ist, den er bringt viele Menschen an einen Tisch zusammen. Außerdem sind die Bündnisse gegen Rechts  sehr aktiv in Schleswig Holstein. Das sind meines Erachtens immer noch viel zu wenige, es könnten noch viel mehr sein. Aber die Bündnisse die es gibt, sind extrem aktiv und auch sehr erfahren in Bezug auf Demos anmelden, in Bezug auf Motivation von anderen, in der Vernetzungsarbeit untereinander etc.

 

In wie fern spielt Pegida in Fortbildungen eine Rolle?

In unserer Fortbildungsarbeit spielt der Vergleich der Strategien von AfD, Pegida, Pro-Gruppen, „Wehrt sich“-Gruppen eine große Rolle. Es geht um Sensibilisierung, was diese Gruppen funktionalisieren, wo Parallelen, wo Unterschiede festzustellen sind. Wir verzeichnen, insbesondere unter pädagogischen Fachkräften, ein sehr großes Interesse an solchen Fortbildungen. Sie wollen erfahren, wie argumentieren solche Gruppierungen, und vor allem, was kann ich dagegen tun? Was kann ich in der Jugendarbeit tun, damit Jugendliche unterschiedliche Positionen kennenlernen und nicht nur via Facebook von rechtspopulistischen oder auch rechtsextremen Gruppierungen beeinflusst werden? Das Bedürfnis nach Handlungsstrategien gegen rassistische Äußerungen ist stark gestiegen. Aktuell werden wir vielfach angefragt, viel mehr als in der Vergangenheit.

 

Mehr auf Netz-gegen-Nazis.de:  

Ressorts (Netz gegen Nazis): 
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Pegida, quo vadis? Heute: Rheinland

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Zentrale Figur im Rheinland: Melanie Dittmer organisierte die Proteste gegen Geflüchtete, ist aktuell auf Fan der neurechten "Identitären Bewegung" und dokumentiert ihre Auftritte gern auf YouTube.
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Screenshot YouTube

In Nordrhein-Westfahlen gab und gibt es Ableger der Gida-Bewegung. Die sind sehr unterschiedlich, was das Auftreten und die mitlaufenden Menschen angeht. Wir sprachen mit Hans-Peter Killguss und Carolin Hesidenz von der MBR Köln zur Gida-Bewegung im Rheinland. In einer losen Serie betrachtet die Amadeu Antonio Stiftung auf netz-gegen-nazis.de die "Gidas" der Bundesländer - auch unter Gender-Aspekten.
 

Das Interview führte Jan Riebe.
 

Gibt es regelmäßige Aufmärsche der „Gida“-Bewegung vor Ort?

Im Rheinland wurden die Aufmärsche anfänglich durch ein „Gida“-Organisationsteam koordiniert. Diesem gehörten Personen von Pro NRW an, darunter die kurzzeitig in deren Vorstand vertretene Melanie Dittmer (Pro NRW), Sebastian Nobile, ehemals aus dem Umfeld der German Defense League (GDL) und Alexander Heumann (AfD). Aus der Teilnahme des AfD-Mitgliedes Heumann lässt sich jedoch keine generelle Einbeziehung bzw. Nähe der AfD zu dem Organisationsteam und auch nicht zu den Aufmärschen ableiten. 2014 fand eine Pegida-Versammlung in Düsseldorf (Dügida) statt sowie zwei in Bonn (Bogida). Heumann verabschiedete sich schnell aus dem Orga-Team. Als Begründung gab er die den Holocaust relativierenden Äußerungen Dittmers an.

Im Zuge der Pegida-Veranstaltung in Köln Anfang Januar 2015 kam es zu einer Spaltung des „Orga-Teams“ über die inhaltliche und strategische Ausrichtung von Pegida NRW. Melanie Dittmer, bisher Sprecherin von Pegida NRW, organisierte fortan mit einigen Getreuen unter dem Label Dügida wöchentliche Kundgebungen und „Spaziergänge“ in Düsseldorf. Pegida NRW mit dem verbliebenen Teil des „Orga-Teams“ wählte nach einer kurzen Pause Duisburg als Aufmarschort. Pegida NRW blieb auch der einzige Ableger in NRW, der von Pegida in Dresden anerkannt wurde. Dittmer versuchte, auch in Köln eine Mittwochs-Veranstaltung als „Kögida“ zu etablieren, gab jedoch nach drei Versuchen auf.

Inzwischen gibt es „Pegida“ einzig noch in Duisburg. Dort wird durchgängig – mit nur wenigen Pausen und unter einem mehrfach veränderten „Orga-Team“ – montags demonstriert. Die Teilnehmer_innenzahlen schwanken zwischen 30 und 400. Zudem gibt es in der Region noch Gida-ähnliche Aufmärsche, die aber nicht unter diesem Namen laufen: Seit Herbst 2015 demonstriert „Mönchengladbach steht auf“ einmal im Monat. Die Gruppierung „Bürger stehen auf“ haben zwei Versammlungen in Linnich und eine in Erkelenz (Kreis Düren) durchgeführt, darüber hinaus tritt noch „Essen gegen Politikwahnsinn“ und „Deutschland asylfreie Schulen, Kindergärten und Turnhallen (DaSKuT)“ in Bochum auf.

 

Wer demonstriert dort?

Die meisten Aufmärsche sind männlich dominiert, Jüngere wie Ältere nehmen teil. In Duisburg ist das Publikum besonders gemischt, seit November 2015 sind hier verstärkt Hooligans hinzugekommen. Von 400 Teilnehmenden waren zwischenzeitlich 100 aus dem Hooligan-Spektrum, der Rest gibt sich nach außen sehr bürgerlich. Aber auch Pro NRWler_innen, „Die Rechte“ und nicht-organisierte Neonazis sind dort anzutreffen.
 

Wer meldet die Demos an?

Anfänglich wurden die Demonstrationen durch das benannte Orga-Team angemeldet. Die Vernetzung kam wohl u.a. über „HoGeSa“ zustande. In Bonn und Düsseldorf wurden die Aufmärsche von Melanie Dittmer geleitet, bis ihr dies mittels polizeilicher Auflage untersagt wurde. Die Versammlungen in Duisburg wurden von verschiedenen Personen aus dem Orga-Team angemeldet und geleitet.

 

Spielt die lokale Naziszene eine Rolle bei den Demos?

Die originäre Neonaziszene war unserer Einschätzung nach zu keiner Zeit in die Organisationsstruktur involviert. Sie haben beobachtet, wie sich das entwickelt. Einzelpersonen sind mit gelaufen, aber ohne Transparente, Fahnen oder andere Attribute, die auf ihre Organisationsstrukturen verwiesen hätten. Ariane Meise, die stellvertretende Vorsitzende der NPD NRW, fungierte vereinzelt in Düsseldorf als Versammlungsleiterin bzw. Rednerin.

In Köln und zum großen Teil auch in Düsseldorf kam eine Vielzahl der Teilnehmenden aus dem neu entstandenen „HoGeSa“-Milieu. Diese gerierten sich sehr aktionistisch und militant, versuchten auch Journalist_innen und Gegendemonstrant_innen anzugreifen. In Duisburg sind es eher bürgerlich auftretende Teilnehmer_innen sowie phasenweise eine größere Gruppe an Hooligans.

Mitglieder von NPD und „Die Rechte“ waren mindestens phasenweise bei allen Versammlungen vertreten. Als sich Pegida NRW in Duisburg strategisch von Neonazis insbesondere der Partei „Die Rechte“ distanzierte und sie auslud, begannen die Aktivist_innen eine eigene Demonstrationsserie in Dortmund unter dem Parteilabel.

 

Spielt die AfD eine Rolle? Wenn ja, hat die sich verändert?

Die AfD spielte inhaltlich und organisatorisch bei allen Rheinland-Gidas keine Rolle. Mit Ausnahme von Alexander Heumann, der aber nicht als AfD-Funktionär agierte.

 

Gibt es eine Abgrenzung zur Nazi-Szene vor Ort und wenn ja wie erfolgt diese?

Generell gab es immer Verlautbarungen nach außen: „Wir sind keine Nazis.“ Es fand aber zu keinem Zeitpunkt eine ernsthafte Abgrenzung statt.

In Duisburg wird häufig eine Fahne mit einen Aufdruck „gegen Nazis“ gezeigt - zwischen Personen, die deutlich als Nazis zu erkennen sind. Abgrenzungsbestrebungen dürften hauptsächlich strategisch motiviert sein. Die Hooligans werden allein schon deshalb willkommen geheißen, da sie eine deutliche personelle Verstärkung darstellen.

Zoff gab es hingegen mit einem Redner aus dem Spektrum der Montags-Mahnwachen. Dieser propagierte stark eine Querfrontstrategie und Verschwörungsideologien.

 

Wer redet? Welche Themen werden dort in Reden, auf Plakaten benannt?

In Köln und Bonn hat Melanie Dittmer viel geredet. Das Thema Gender spielte hier keine besondere Rolle. In Düsseldorf wie auch Bonn traten „Pro NRW“ler als Redner auf, in Düsseldorf auch die NPDlerin Ariane Meise und Manuela Eschert von „Infidels Deutschland“.

In Duisburg sprechen unterschiedliche Vertreter des „Orga-Teams“ wie Michael Diendorf und Egon Rohmann (NPD/Bürger für Duisburg). Auch Dominik Roeseler („HoGeSa“-Anmelder) ist zeitweise regelmäßiger Redner, dazu kommen einige „externer“ Redner_innen.

Inhaltich geht es um das „Übliche“: Flucht und Asyl, Islam und „die da oben“. Lokale Themen spielen kaum eine Rolle.
 

Welche “Lösungsstrategien” werden propagiert, welches Gesellschaftsbild?

Auf den Gida-Demonstrationen wird ein klar autoritäres Gesellschaftsbild und gesellschaftliche Homogenität propagiert. Ernstzunehmende Lösungsvorschläge für skandalisierte Probleme gibt es nicht. Es reduziert sich auf Parolen wie „Merkel muss weg“, „Grenzen dicht machen“, „kriminelle Ausländer raus. Es gibt kaum bis gar keinen Lokalbezug. Man versteht sich als Teil einer bundesweiten, europaweiten „Gida“-Bewegung. In Aachen wurde auch der Versuch gemacht, eine internationale Gida-Demonstration zu initiieren, was jedoch auf wenig Resonanz stieß und scheiterte.

 

Spielen Soziale Netzwerke eine Rolle?

Jede Veranstaltung wird zwar über Soziale Netzwerke beworben, dennoch spielen die in der Mobilisierung keine große Rolle. Es findet eher eine Bewerbung wie früher über SMS-Verteiler statt. „Pegida“ in NRW ist kein Netzphänomen, das dann auf die Straße gegangen ist. Anders war das bei „HoGeSa“, hier spielten Soziale Netzwerke eine große Rolle. Erst dadurch konnten die Vernetzungen entstehen oder reaktiviert werden. Lediglich für die Mobilisierung zur Pegida NRW-Demo im Januar 2016 nach den Silverstervorfällen sorgten auch Posts in den Sozialen Netzwerken dafür, dass etwa 1.500 Personen zusammen.

 

Wie kommt das Thema in den pädagogischen Feldern der MBR Köln an und wie wird es bearbeitet?

Das MBR Köln nimmt die Auseinandersetzung mit der „Gida“-Bewegung in die pädagogische Arbeit mit auf, etwa in Workshops oder Vorträgen. In Workshops werden „Pegida“-Interviews, beispielsweise die, die das NDR-Magazin Panorama im Dezember 2014 in Dresden gemacht hat, mit den Teilnehmenden analysiert. In Workshops wird zudem z.B. die Ethnisierung sexualisierter Gewalt thematisiert. Interessant ist, dass wir bei unseren Workshops in Schulen festgestellt haben, dass die Kölner Silverstervorfälle keine nachhaltige Veränderung in der Stimmung mit sich gebracht haben. Es gab lediglich eine kurzzeitig wahrnehmbare Dynamik. Wer vorher Menschen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermuteten Gruppenzugehörigkeit abgewertet hat, tut dies auch nach Silvester. Wer solidarisch ist, ist dies auch nach den Köln-Debatten.

 

Wie sichtbar sind Frauen?

Da ist zuvorderst Melanie Dittmer, die viele Versammlungen anmeldete und leitete und. Redebeiträge hielt. In Düsseldorf sind mehrere Rednerinnen aufgetreten, u.a. Ariane Meise (Kreisvorsitzende NPD-Kreisverband Rhein-Sieg). In Köln war das Spektrum eher „HoGeSa“-lastig, entsprechend traten auch die Frauen auf. In Duisburg sind Frauen auf den Demos kaum wahrnehmbar. Allerdings tragen sie bei den „Spaziergängen“ meist das Fronttransparent mit.

Dort, wo Melanie Dittmer involviert war, waren auch mehr Frauen sichtbar als Rednerinnen. Unserer Einschätzung nach liegt das aber nicht an strategischen oder inhaltlichen Erwägungen, sondern daran, dass sie zu Dittmers  Netzwerk gehören. Nach den Silverstervorfällen initiierte Dittmer mit mehreren extrem rechten Frauen den „Mädelbund Henriette Reker“, der kleinere Agit-Prop-Aktionen durchführte. Aufhänger war der aus dem Zusammenhang gerissene Rat der Kölner Oberbürgermeisterin nach Silvester, „eine Armlänge Abstand“ zu halten, um sich vor sexualisierter Gewalt zu schützen. Der „Mädelbund“  nutzte dies, um vermeintlich „satirisch“ gegen Geflüchtete zu agitieren.

 

(Wie) wird auf den Aufmärschen Geschlecht inszeniert?

„Kögida“ und „HoGeSa“ waren durch eine starke Männlichkeitsinszenierung geprägt, auch Frauen übernahmen hier männlich konnotierte Ausdrucksweisen (martialisch, rüpelhaft). Bei „HoGeSa“ und auch „Kögida“ traten eher „Pseudo-Hools“ in Erscheinung, junge (und auch ältere) Männer und Frauen, die gerne Hooligans wären, aber keine sind. In Duisburg hingegen sind reale Hool-Strukturen präsent. Insgesamt ist auch Duisburg sehr männlich dominiert.

 

Wie werden Teilnehmende auf geschlechtlicher Ebene angesprochen?

Das war und ist sehr unterschiedlich In Köln dominierte der Hooligan-Style, bei anderen „Spaziergängen“ von Pegida NRW traten und treten auch Frauen mit „klassischer Weiblichkeit“ auf. Kinder sind allerdings nicht dabei. Höchstens mal in einem Redebeitrag wird das Mutter-Sein erwähnt. Es  findet auch keine Inszenierung als Familie statt. Auch in den Reden spielen Frauen- und Familienthemen keine Rolle. Dittmer hat sich gerne als „Powerfrau“ inszeniert. Nach den Silvestervorfällen ging es in Redebeiträgen viel darum, dass man „unsere Frauen“ schützen müsse. Gleichzeitig wurden Journalistinnen, die die „Gida“-Märsche dokumentiert haben, extrem sexistisch beleidig.

 

Gibt es Gegenproteste? Wer organisiert sie? Welche Konzepte waren erfolgreich, welche sind gescheitert?

In allen Städten gab es Gegenprotest. In Köln wurde nach Vorbild der Semper-Oper (Dresden) die Aktion gestartet „Kölner knipsen Kögida das Licht aus“. Auch die Beleuchtung des Domes wurde abgeschaltet, was in der Stadt als starkes Signal gesehen wurde. In Köln war der Gegenprotest groß und wurde maßgeblich von zwei unterschiedlich ausgerichteten Bündnissen getragen. Zwischen den beiden gab es aber enge Absprachen. Der erste „Kögida“-Aufmarsch wurde auch erfolgreich verunmöglicht.

Ziel bei den folgenden „Kögida“-Versuchen war es, den Rechten den Raum eng zu machen. Es wurden auch „neue“ Konzepte ausprobiert, wie Tanzdemos mit Soundanlage, anstelle „öder Latschdemos“. Und es ging auch darum, etwas Eigenes zu machen, sich nicht nur an den Rechten abzuarbeiten.

In Düsseldorf gab es auch ein breites Bündnis, „Düsseldorf stellt sich quer“, das immer Gegendemos organisiert hat. Da „Dügida“ viel länger durchgehalten hat als „Kögida“ sind die Organisator_innen der dortigen Gegenproteste zuletzt „auf dem Zahnfleisch gelaufen“ und waren sehr froh, dass „Dügida“ irgendwann aufgegeben hat.

In Duisburg gibt es auch immer Gegenprotest. Allerdings gibt es dort auch inhaltliche Auseinandersetzungen, sodass es nur selten größere spektrenübergreifende Gegenmobilisierungen gab. Aktuell findet dort noch immer eine kleine Protestkundgebung am Bahnhof statt. Zusätzlich gibt es ein künstlerisches Gegenprogramm unter dem Namen „Duispunkt“. In den letzten Wochen rufen jetzt auch die „Autonomen Jediritter“ zum Protest gegen Pegida NRW.

 

Gab es Gesprächsrunden mit Einbezug der Gidas?

Nein, nirgendwo. Die „Gidas“ waren als „Nazis“ wahrgenommen. Es nahmen nie annährend so viele Leute wie in Dresden teil, so dass nie die Idee aufkam, mit denen reden zu müssen.

 

Wenn Pegida schon vorbei ist: Hatten die Aufmärsche Folgen?

In Düsseldorf war die ganze Stadt von „Dügida“ genervt, da die Versammlungen am Hauptbahnhof stattfanden und so viele Menschen in ihrem Alltag blockierten.

In Köln wurde der Mythos „Wir wehren uns erfolgreich gegen Rechts“ gestärkt. Seit „HoGeSa“ ist aber auch die rechte Szene aktionistischer geworden, Abgrenzungen wie früher, „Das sind Nazis, bei denen kann ich nicht mitlaufen“, greifen viel weniger. Die extreme Rechte ist „bündnisfähiger“ geworden. Das ist durchaus eine generelle Folge der „Gidas“. Es gibt neue Bündnismöglichkeiten. Man traut sich wieder mehr.

 

Das Interview wurde im Juli 2016 geführt.

 

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Die Inszenierung von Beate Zschäpe im NSU-Prozess

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Die Angeklagte Beate Zschäpe nimmt am 01.09.2016 im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München (Bayern) ihren Platz ein. Rechts sitzt ihr Anwalt Mathias Grasel.
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picture alliance / dpa
www.picture-alliance.de

Wie inszeniert sich Beate Zschäpe im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht in München? Die Fachstelle Gender und Rechtsextremismus begleitet den Prozess seit Beginn und kommt zu dem Schluss, dass Zschäpe ihren Auftritt aktiv und strategisch inszeniert. Sie versucht, ein Bild von sich zu zeichnen, das sie als weitgehend unbeteiligt an den Verbrechen ihrer Komplizen zeigt, als unschuldige und politisch wenig interessierte Frau.
 

Von Charlie Kaufhold und Heike Radvan

Neben der Analyse verschiedener Inszenierungen der Person Zschäpe, interessiert uns im Folgenden, wie verschiedene Professionelle, die im NSU-Prozess mit ihr in Kontakt kommen, auf sie als Person reagieren. Es ist zu vermuten, dass es sich bei diesen Reaktionsweisen um Muster handelt, die sich auch in der Reaktion des Umfeldes vor der Selbstenttarnung des NSU auf Zschäpe finden lassen. Wobei jedoch zu berücksichtigen ist, dass Personen, die heute auf sie treffen, von ihrer Verstrickung in die Verbrechen des NSU wissen.

Bei der Beobachtung im Gericht  fällt aktuell eine Justizvollzugsbeamtin auf, die – so kommt man beim Ablauf des morgendlichen Rituals des Prozessbeginns nicht umhin – offensichtlich von Zschäpe fasziniert zu sein scheint und durch Mimik und Gestik deutlich macht, dass sie sie anhimmelt. Eine geringe professionelle Distanz zur Mandantin Zschäpe war auch in den ersten Monaten des Prozesses von Seiten eines jungen Pflichtverteidigers zu beobachten: Er teilte äußerst zuvorkommend den Laptop mit Zschäpe, bot ihr regelmäßig Bonbons an und wandte sich ihr auffallend häufig und einnehmend lächelnd zu, um Informationen in ihr Ohr zu flüstern. Auch wenn es sich hierbei um überlegte Schritte des Aufbaus einer Kooperations- und Vertrauensbasis zur Mandantin handeln mag, lässt sich fragen, wofür die entsprechende Inszenierung im Gerichtssaal steht und – ob sie auch im Umgang mit anderen Mandantinnen so ohne Weiteres vorstellbar wäre.
 

Warum wird Zschäpe nicht wie eine potenzielle Rechtsterroristin behandelt?

Den verantwortlichen Personen scheint aus dem Blick zu geraten, mit wem sie es zu tun haben. Es deutet sich an, dass Zschäpe hier nicht als die potentielle Täterin angesehen und behandelt wird, als die sie angeklagt ist. Stellt man sich – als gedankenexperimentellen Vergleich – einen Prozess gegen eine sogenannte Kindsmörderin vor, so wäre eine entsprechende Distanzlosigkeit eines Anwaltes und einer Polizeibeamtin kaum denkbar. Wegen Tötung ihres Kinds angeklagte Frauen werden laut Heft (2015) von Prozess-Beteiligten – Jurist_innen, Journalist_innen etc. – dämonisiert und als das absolut Böse dargestellt. Wie also – so lässt sich fragen – sind die beschriebenen Reaktionen in Bezug auf Zschäpe möglich, d.h. in einem Prozess gegen eine Frau, der als Hauptangeklagte die Gründung und gleichberechtigte Mitgliedschaft in der Terrororganisation des „Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) vorgeworfen wird? Konkret geht es um zehn Morde, mehrere Mordversuche, unter anderem in Zusammenhang mit zwei Bombenanschlägen[1], 15 bewaffnete Raubüberfälle und schwere Brandstiftung – also keineswegs nebensächliche Tatvorwürfe. Laut Anklageschrift wird ihr auch zur Last gelegt, maßgeblich an der Tarnung des NSU beteiligt gewesen zu sein. Dieser konnte auch so lange unentdeckt bleiben, weil sie nach außen hin durch Inszenierung einer bürgerlichen Familienkonstellation die Fassade des NSU geschaffen hat. Auch soll sie für die Logistik des NSU – wie beispielsweise. die Finanzen – verantwortlich gewesen sein. 
 

Inszenierung vs. Realität

Die Verteidigung hat im Prozess mehrmals versucht, Zschäpe unter Rückgriff auf ihr „Frau-Sein“ aus der Verantwortung zu nehmen. So bei der Aussage, die einer ihrer Anwält_innen im Dezember 2015 verlesen hat: Zschäpe stellt sich darin als emotional abhängig von Mundlos und Böhnhardt dar. Sie greift insofern auf Geschlechterstereotype einer emotionalen Abhängigkeit von Frauen in heterosexuellen Liebesbeziehungen zurück. Damit inszeniert sie sich als nicht eigenständig handelnde Person.

Zschäpe nutzt bestehende Stereotype über die Friedfertigkeit von Frauen. Sie setzt diese strategisch ein, um ein Bild von sich als unschuldiger Frau zu zeichnen, die sich gegen Gewalttaten positioniert und emotional hierauf reagieren würde. So gab sie etwa in der genannten Einlassung im Dezember 2015 an, ihre Katzen vernachlässigt zu haben, nachdem sie im Herbst 2006 von den Morden ihrer Komplizen erfuhr. Auch wenn dies juristisch weniger relevant ist, wurde doch durch Recherchen des ZDF deutlich, dass Zschäpe sich im Oktober 2006 sehr wohl um die medizinische Versorgung ihrer Katzen kümmert. So wird ein großes Blutbild eines Haustieres erstellt und ein Herzmedikament verschrieben – auf Vernachlässigung aufgrund emotionaler Überforderung lässt sich hier weniger schließen. Vielmehr scheinen diese Fakten ihrer Aussage zu widersprechen.

Auch gibt Zschäpe in der Einlassung an, dass sie „einfach nur entsetzt“ gewesen sei, als sie vom Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße erfahren habe. Sie habe ihr Vertrauen in Mundlos und Böhnhardt verloren und sei nicht mehr sicher gewesen, dass diese ihr die Wahrheit erzählten. Kurz nach dem Anschlag reiste Zschäpe jedoch mit Mundlos und Böhnhardt an die Ostsee. Aus diesem Urlaub gibt es Fotos, die vor Gericht zur Diskussion standen. Auf den Bildern wirken Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt wie glückliche, unbeschwerte und mit sich selbst zufriedene Urlauber_innen. Die hier deutlich werdende Diskrepanz – Entsetzen über die Gewalt des Anschlages und Vertrauensverlust zu den Komplizen auf der einen Seite; ein glückliches Miteinander auf der anderen – mag juristisch keine Beweiskraft haben. Es verstärkt jedoch den Eindruck, dass Zschäpe sehr gezielt bestimmte Bilder aufruft, um sich selbst zu entlasten. Diese haben mit der Realität nur wenig zu tun, es wird jedoch – und das ist der hier relevante Punkt – von manchen Menschen verständnisorientiert aufgenommen und weiter vermittelt. 
 

Neonazi-Frauen setzen  vor Gericht Geschlechterstereotype zur Entlastung ein

Dass extrem rechte Frauen versuchen, sich durch Rückgriff auf Geschlechterstereotype zu entlasten, war im laufenden Prozess nicht nur bei Zschäpe zu beobachten. Auch mutmaßliche Unterstützerinnen des NSU, die vor Gericht aussagten, versuchten ihr Engagement durch Bezüge auf Vorstellungen von Weiblichkeit zu leugnen und zu verharmlosen. So bedienten Unterstützerinnen u.a. das Bild der friedfertigen Frau und der „Freundin von ...“, die in der extrem rechten Szene nichts zu sagen hätten (vgl. ngn 2015) .

Sowohl innerhalb als auch außerhalb des Prozesses gibt es jedoch Hinweise darauf, dass Zschäpe durchaus selbstbewusst und strategisch agiert. So wurde etwa Mitte September 2016 von der Nebenklage eingebracht, einen Brief zum Gegenstand des Prozesses zu machen, in dem sich Zschäpe aus der Haft heraus einem anderen inhaftierten Neonazi öffnete. Robin S. wurde wegen eines bewaffneten Raubüberfalls, bei dem er viermal auf einen aus Tunesien stammenden Mann schoss, zu einer achtjährigen Haftstrafe verurteilt. Es liegen mehrere Briefe von Zschäpe an Robin S. vor, die bereits in verschiedenen Zeitungen besprochen und auch Teil der Prozessakte wurden. Zschäpe stellt sich in dem Brief, der nun im Prozess zur Debatte stand, als „selbstbewusste, dominante, geradezu von sich überzeugte Frau" dar (vgl. sueddeutsche.de). Sie fühle sich stark und habe deutlich gemacht, dass sie sich gegen ihren Willen zu nichts zwingen lasse.

Einen weiteren Hinweis auf selbstbewusstes und strategisches Agieren Zschäpes lieferte ein Artikel in der „Zeit“. Die Journalistin Astrid Ebenhoch hatte die Gelegenheit, Zschäpe im Gefängnis zu beobachten. Auch wenn ihre Beobachtungen nur einen kurzen Zeitraum abdecken und viele Fragen offen bleiben müssen, dokumentiert sich in ihren Beschreibungen sehr deutlich, inwiefern Zschäpe auch hier – also innerhalb einer totalen Institution wie dem Gefängnis – eine aktive Rolle unter den Mitgefangenen einnimmt und ihre Meinungen vertritt. Hier entsteht der Eindruck, dass Zschäpe äußerst manipulativ vorgeht und andere Personen für ihre Interessen einsetzt. So berichtet Ebenhoch, dass Zschäpe  im Gefängnis gegen „ausländische“ Insassinnen agitierte. So habe sie andere Insassinnen „ermutigt“, eine Inhaftierte tätlich anzugreifen, die Zschäpe zuvor als Nazi bezeichnet und vor ihr ausgespuckt haben soll.

Der aktuelle Eindruck von Zschäpe als selbstbewusst, strategisch agierender und politisch überzeugter Neonazistin ist auch vor dem Hintergrund ihrer Biografie durchaus plausibel. So ist Zschäpe bereits vor 1998 als organisierte, gewalttätige Neonazistin bekannt gewesen. Sie war in verschiedenen extrem rechten Organisationen aktiv, etwa in der extrem rechten „Kameradschaft Jena“, später dem „Thüringer Heimatschutz“. Sie nahm an verschiedenen faschistischen Schulungen, bundesweiten Demonstrationen und Kundgebungen teil und meldete selbst Demonstrationen an. Auch fiel sie durch gewalttätiges Auftreten auf; unter anderem fügte sie einer alternativen Jugendlichen einen Knochenbruch zu, hetzte ihren Kampfhund in mindestens zwei Fällen auf andere Menschen, sammelte Waffen und wurde bspw. von der Polizei mit einem Dolch bewaffnet aufgegriffen. Nachdem rassistisch konnotierte Bombenattrappen in Jena gefunden wurden, wurde Zschäpes Wohnung sowie eine von ihr angemietete Garage durchsucht. Gefunden wurden neben Waffen u.a. 1,4 kg Sprengstoff.

 

Wahrnehmungsdefizite gegenüber extrem rechten Frauen

In Anbetracht dieser Umstände wäre ein professionell-distanzierter Umgang mit Zschäpe im NSU-Prozess mehr als angebracht. Dass ein Pflichtverteidiger und eine Justizvollzugsbeamtin Zschäpe auf wohlwollend im Gerichtsprozess gegenüber treten, ist auch Ausdruck eines grundsätzlichen Wahrnehmungsdefizits gegenüber extrem rechten Frauen oder zumindest die Ausblendung von rassistischen Einstellungen und Straf- und Gewalttaten. Aufgrund von Geschlechterstereotypen, nach denen Frauen tendenziell eher friedfertig und unpolitisch seien, wird die Rolle von Frauen in extrem rechten Strukturen häufig relativiert und übersehen. Dabei sind extrem rechte Frauen kein Phänomen des neuen Jahrtausends; auchin den 1980ern waren Frauen in rechtsterroristischen Gruppen aktiv – und bekanntlich war ein nicht unerheblicher Anteil der nationalsozialistischen TäterInnen weiblich.

Der Umgang mit Zschäpe im NSU-Prozess ist aber nicht nur Ausdruck von Wahrnehmungsdefiziten gegenüber rechten Frauen. Indem Zschäpe angehimmelt und angeflirtet wird, werden solche Wahrnehmungsdefizite reproduziert und verfestigt. Dabei sollte allerspätestens nach dem Bekanntwerden des NSU ein Umdenken stattfinden und rechte Frauen in ihrer politischen Überzeugung und Relevanz für rechte Strukturen nicht weiter unterschätzt werden.

 

Mehr auf netz-gegen-nazis.de:

Aktuelle Anlaysen zum NSU-Prozess unter Gender-Gesichtspunkten gibt es auf

| www.gender-und-rechtsextremismus.de




[1]     Da erst durch die Aussage von Carsten S. im laufenden Prozess der Anschlag in Nürnberg mit der in einer Taschenlampe eingebauten Bombe dem NSU zugeordnet werden konnte, ist dieser nicht Teil der Anklageschrift.

 

 

Ressorts (Netz gegen Nazis): 
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"Pegida", quo vadis? Heute: Dresden

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Am Sonntag beging "Pegida Dresden" sein zweijähriges Jubiläum. Der Erfolg der Proteste hat indes rapide abgenommen. Doch immer noch stehen in Dresden Woche für Woche rund 2.000 als "besorgte Bürger_innen" verkleidete Rassist_innen und Demokratiefeind_innen auf der Straße (Foto: Dezember 2014)
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ngn / SR

In vielen Bundesländern gab und gibt es Ableger von Pegida. In loser Serie betrachtet die Amadeu Antonio Stiftung auf netz-gegen-nazis.de die "Gidas" der Bundesländer - auch unter Gender-Aspekten. Das "Original" aber kommt aus Dresden und steht dort immer noch auf der Straße herum. Warum?  Das haben Dr. Timo Heim und Hannah Eitel von der TU Dresden erforscht. Ein Interview.

„Pegida“ hat seit Herbst 2014 bundesweit verschiedene islam- und fremdenfeindliche Ableger entwickelt, die in einer losen Reihe von Artikeln bei Netz gegen Nazis vorgestellt werden. Zugkräftigster und einflussreichster Akteur ist aber „Pegida“ in Dresden geblieben. Die Organisation stand seit ihrer ersten Demonstration am 20. Oktober 2014 deshalb auch im Focus des Interesses von Politik und Wissenschaft. Ende Juni 2016 sprach Christian Bach (CB) für Netz gegen Nazis in Dresden mit Dr. Tino Heim (TH), wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für soziologische Theorien und Kultursoziologie der TU Dresden, und Hannah Eitel (HE), die in Dresden ihre Masterarbeit zu Volkssouveränität und Demokratievorstellungen bei Pegida geschrieben hat. Beide waren Teil eines 18 Autor*innen umfassenden freien Forschungszusammenschlusses zu den Wechselwirkungen zwischen “Pegida“ und anderen gesellschaftlichen Instanzen. Die Ergebnisse sind jüngst in einem Sammelband veröffentlicht worden.[1]
 

Die Frage ist schon oft gestellt worden, dennoch: Warum Dresden?

TH: Das ist eine schwierige Frage: Es ist zunächst einmal eine reine Zufälligkeit, dass die Leute vom Organisationsteam in Dresden oder im Umland wohnen, weshalb die Gründung eben hier erfolgte. Aber Dresden eignet sich auch besser als Bühne als andere, vor allem kleinere Städte. „Pegida“ trat von Beginn an relativ professionell in der Selbstinszenierung auf und nutzte dabei auch symbolträchtige Orte in der Dresdener Altstadt. Abgesehen von diesen Aspekten lässt sich „Pegida“ aber auch im Kontext der Spezifika der sächsischen Politikverhältnisse der letzten 25 Jahre betrachten. Bestimmte Deutungsmuster, die bei „Pegida“ angesprochen und reaktiviert werden, waren auch in Regierungserklärungen seit Biedenkopf vorhanden und kommen in ähnlicher Form auch immer wieder in Äußerungen der sächsischen Regierungspartei CDU vor – etwa im Grundsatzpapier „Deutscher Patriotismus in Europa“ von 2005. Ein Beispiel ist der „sächsische Exzeptionalismus“, also das Behaupten einer in eine ‚1000jährige Geschichte‘ zurück projizierten Ausnahmestellung Sachsens als „politisches Vorreiterland“, das als  Avantgarde für die konservative Erneuerung Deutschlands fungieren könne. Gleichzeitig wird ein Exzeptionalismus in wirtschaftlichen, kulturellen und sonstigen Bereichen behauptet. Diese Sonderstellung wird oft verknüpft mit einem Opfermythos: Sachsen werde vom Rest der Welt und auch den Medien immer so schlecht wahrgenommen und durch Medienkampagnen als Hort des Rechtsextremismus diffamiert. Weil diese Erzählungen in verschiedenen offiziellen politischen Diskursen präsent sind, kann „Pegida“ hier mit Parolen wie ‚Dresden‘ bzw. ‚Sachsen zeigt wie‘s geht‘ oder eben auch ‚Lügenpresse‘ leicht anknüpfen. Vor allem beliebt ist hier die Anrufung „Wir Sachsen“ als die besseren Deutschen, die essentielleren Deutschen, und von Sachsen als Quelle der Wiedergeburt Deutschlands. Diese Erzählung hat in Sachsen und der Landeshauptstadt schon eine längere Tradition und eine festere Etablierung im politischen bzw. medialen Diskurs und deshalb auch eine größere Ausgangsplausibilität.

HE: Trotzdem kommt „Pegida“ ja nicht allein aus Sachsen heraus. Auch Krisen des Kapitalismus und der repräsentativen, sehr formalisierten Demokratie spielen eine Rolle. Außerdem sind die Verwaltungsstrukturen hier in Sachsen nicht willens, eine bereits schwache Zivilgesellschaft zu stärken. Weiterhin wird jeder Antifaschismus aggressiv kriminalisiert. Das sehen wir jeden Montag bei „Pegida“, wo die wenigen Gegendemonstrierenden massiv von der behelmten Polizei gegängelt werden, während „Pegida“ der Rücken zugekehrt wird. Auch dieses Handeln macht eine Bewegung stark: Wenn man von Anfang so viel Dinge durchgehen lässt, dass es wie Zustimmung erscheint.

TH: Die Frage ist, wessen Demonstrationsrecht hier eigentlich wie und in welcher Form verteidigt oder eingeschränkt wird. Wir haben bei den großen Demonstrationen von „Pegida“ immer wieder beobachtet, dass die sächsische Polizei der Zugang zu den Gegendemonstrationen massiv erschwert hat. Teilweise wurde Gegendemonstrant_innen der Zugang zur Gegendemonstration an der Hofkirche nur über das andere Elbufer und die Augustusbrücke gewährt, während die „Pegida“-Demonstrant_innen durch die Gegenkundgebung geführt wurden. Tatsächlich war es leichter, auf die Gegendemonstration zu kommen, wenn man gesagt hat, man wolle zu „Pegida“. Das ist ein weiteres Beispiel für den von Hannah angesprochenen Punkt des sächsischen Umgangs mit Dissens, mit Konflikten, mit Zivilgesellschaft, mit Protesten von „Links“. Auch im sächsischen Verfassungsschutzbericht taucht „Pegida“ nur im Zusammenhang mit den Aktivitäten der Gegendemonstran_innen auf.

 

Wenn ihr euch die Selbstdeutungen und -repräsentationen angeschaut habt, was wird dort thematisiert und welche Lösungen werden vorgeschlagen?

HE: „Pegida“ bietet wenig konkrete Lösungen, und die bleiben widersprüchlich und diffus. Leo Löwenthal sagt in „Studien zur faschistischen Agitation“ sinngemäß, der Agitator kann keine Lösungen anbieten, und die Unlösbarkeit wird sogar gebraucht, weil es die Bewegung bindet. Inhaltlich zielt „Pegida“ auf eine auf einheitlichem Volkswillen und einheitlichem Volk basierende identitär-autoritäre Demokratie. Eine Abweichung von diesem Volkswillen bedeutet dabei nicht, dass es andere Meinungen im Volk gibt, sondern bedeutet im Gegenteil den Ausschluss der Abweichungen aus diesem Konstrukt von Volk.

 

Das ist die „Volksverräter“-Parole.

HE: Genau. Das Volk wird nationalistisch homogen bestimmt und sich mit einem einheitlichen Willen vorgestellt, der nur abgerufen werden muss. Das soll durch Volksentscheide und Direktwahlen geschehen. Die gewählten Politiker_innen haben bei „Pegida“ dann eine zwiespältige Rolle. Sie sollen diesem Volkswillen einerseits gehorchen. Aber sie sollen auf der anderen Seite auch eine autoritäre Politik machen können. Das sieht man etwa, wenn Tatjana Festerling über Viktor Orbán sagt, der habe den „Volkswillen einfach durchgesetzt“. Politik soll die Welt formen, wenn nötig  auch mit Gewalt statt mit Aushandlung. In einer Rede am 9. November 2015 hat Tatjana Festerling außerdem den „Schuldkomplex aus zwölf Jahren Naziherrschaft für beendet“ erklärt. Damit soll der Weg frei gemacht werden für ein neues nationales Selbstbewusstsein. Souverän kann man in dieser Lesart nur dann sein, wenn man den „Schuldkult“ überwunden hat.

TH: Das angesprochene autoritär-identitäre Demokratieverständnis ist seit langem ein Kennzeichen rechtsradikaler beziehungsweise rechtspopulistischer Bewegungen – da ist „Pegida“ der x-te Neuaufguss. Aber was macht diese Idee überhaupt so plausibel? Ich denke, dahinter steht eine erhebliche Form von politischer Entfremdung. Denn wie kann die Idee überzeugend sein, dass es einen einheitlichen homogenen Volkswillen gäbe, der nur am Ausdruck gehindert wird? Offenbar machen viele Menschen nicht mehr die Erfahrung, dass Politik immer die prekäre Aushandlung und die immer nur vorläufige Kompromissbildung zwischen verschiedenen, gegensätzlichen Interessen ist. Dahinter steht auch die zunehmende Blockade aktiver politischer Partizipation in Verhältnissen, die heute oft als ‚postdemokratisch‘ bezeichnet werden. In der Folge erleben große Teile der Bevölkerung Politik primär als alternativlos ausgegebenes autoritäres Fertigangebot für die Mehrheit. Das ist auch entlastend, weil man sich um nichts kümmern und sich nicht aktiv an Aushandlungs- und Willensbildungsprozessen beteiligen muss. Dieses Verständnis findet sich bei „Pegida“ in den Reden deutlich wieder. Es finden sich dort kaum Vorstellungen von wirklich alternativen Partizipationsformen und eher Forderungen nach ähnlich alternativlos und autoritär durchgesetzten Fertigangeboten, die nur irgendwie den ‚echten‘ Volkswillen ausdrücken sollen. Der diffuse Aufruf, „das Volk“ solle aufstehen und „sich wehren“ ist immer begleitet von einer Adressierung und einer Rückverweisung der Verantwortung an politische Autoritäten. Dem korrespondiert auch die Weigerung, selbst eine Partei zu gründen[2].

 

Damit benennt ihr Kennzeichen einer konformistischen Rebellion. Was versprechen sich die Leute davon, jeden Montag zu Tausenden zu „Pegida“ zu kommen?

HE: Die Leute, die heute noch dabei sind, gehen da eher aus Gewohnheit hin. Es wird nichts Neues mehr in den Reden geboten. Jetzt ist noch Tatjana Festerling weggefallen. Da bestätigen sich Menschen gegenseitig in ihrem Missmut und stellen ihre schlechte Laune zur Schau, mit der sie sich offenbar noch wohl fühlen.

TH: Es gab verschiedene Phasen. Die Anfangsphase war deutlich heterogener und unentschiedener. Zunächst ging es „Pegida“ und den Teilnehmer_innen darum, überhaupt eine Form zu finden, in der verschiedene Unzufriedenheiten und Inhalte, Krisenwahrnehmungen und Partizipationswünsche geäußert werden konnten. Die rechtspopulistische, völkische Deutungslinie war schon vorhanden, aber noch nicht so dominant und eindeutig. Dann professionalisiert sich die Bewegung. Das brachte einerseits ein strategisches Doppelspiel mit sich, in dem die wenigen Positionspapiere auf Konsensfähigkeit und politische Opportunität bedacht blieben, während die Reden zunehmend radikaler und auch offen fremden- und islamfeindlicher bzw. rassistischer, chauvinistischer, nationalistischer wurden. Die Publikumsreaktionen, spontaner Jubel oder die Einsatzstellen der ‚Volkschöre‘ zeigen, dass der aktive Teil des Publikums durchaus wegen dieses radikalen Tons zu Pegida kommt. Andererseits dürfte diese politische Dimension auch nicht allein ausschlaggebend sein, denn mit der Professionalisierung bekam Pegida auch zunehmend einen Event-Charakter. Zwar sind sehr viele frustrierte Leute dabei, aber in der Inszenierung finden sich auch Anklänge an popkulturelle Vergemeinschaftungsformen: Am Anfang steht inzwischen stets die pathetische „Hymne“, lokale Stars wie Tatjana Festerling werden mit „Tatjana wir lieben dich“-Rufen, begrüßt. Dazu kommt die Wechselwirkung zwischen „Volkschören“ und Redner_innen, von Bachmann und Festerling sehr geschickt mit Einsatzstellen markiert. Festerling hatte die Angewohnheit, sich zu den „Volkschören“ im Takt zu wiegen, während das Publikum die entsprechenden Parolen rief. Diese unkomplizierte Form des Gemeinschaftserlebens, etwa auch im kollektiven Singen der Hymne oder dem in den Himmel halten der leuchtenden Handys hat eine Zeit lang eine motivierende Rolle für das Wiederkommen gespielt.

HE: Inzwischen glückt es immer schlechter, „Pegida“ als Event zu inszenieren. Zunehmend sitzen Teilnehmende am Rande der Kundgebung, in Cafés und Restaurants. Sie gehören schon noch dazu und prosten auch zu, aber schauen eben jetzt von außen zu. Für die Leute gehört es zum sozialen Wochenrhythmus dazu, da treffe ich Bekannte, da gehe ich mit meiner Familie hin und meinen Freunden.

 

Die von euch analysierten „Lösungen“ sind sehr gesamtgesellschaftlich. Welche Rolle spielt Dresden in den Inhalten?

HE: Es wird immer auch auf Lokales Bezug genommen. Bachmann beginnt immer mit einer Begrüßung und Auflagenverlesung, danach folgt eine Medienschau, bei der der lokale „Mopo“-Artikel genauso wichtig ist wie der „Spiegel“-Artikel. Dresden als Bild allein spielt eine große Rolle. Dresden ist die „Wiege der Bewegung“, das „Mutterschiff“ von „Pegida“. Dresden ist als Ort wichtig, als Symbol mit Frauenkirche.

TH: Generell finden wir bei „Pegida“ eine spezifische Verknüpfung von Regionalismus und Lokalpatriotismus mit einem gleichzeitigen Anspruch auf Wirksamkeit weit über die Region hinaus. Der Begriff „Mutterschiff“ ist eine Formulierung von Festerling und steht exemplarisch für den Anspruch, aus der besonderen lokalen Verankerung in Sachsen heraus eine Vorbild und Anreizfunktion für alle anderen neuen Bürgerbewegungen europaweit zu gewinnen. Diese Selbstinszenierung knüpft an die Erzählung des sächsischen Exzeptionalismus an. Sachsen soll Beispiel für eine gesamtdeutsche oder gar europäische Neu- und Umgestaltung sein. Solche starken lokalen Bezüge mit einer sehr heroischen Aufladung der eigenen regionalen und lokalen Identität spielen also immer mit hinein in den Anspruch einer quasi globalen Wirksamkeitserwartung.

 

Welche Themen seht ihr unter Genderaspekten? In den ersten Thesen von „Pegida“ gab es die Selbstbestimmung als emanzipierter Westen, aber im nächsten Satz die Angriffe gegen Gender Mainstreaming und eine Pädagogik der Vielfalt. Sind diese Themen auf der Straße präsent?

HE: Die Klammer ist der antimuslimische Rassismus, das Thema Flucht und die rassistischen Erzählungen dazu. Das zieht die Demonstrant_innen hin, nicht die Familienpolitik. Es sind „besorgte Bürger_innen“, nicht „besorgte Eltern“. Aber vor allem durch Tatjana Festerling wurden immer wieder Frauenrechte rassistisch thematisiert und zugleich mit einer Kritik an der „Genderisierung“ verbunden. Sie hat die Forderung nach „richtigen“ Frauen und „richtigen“ Männern bereits früh vertreten und formuliert Vorwürfe, dass unsere Kinder sexualisiert würden. Offenbar ist es ihr eine Herzensangelegenheit, über „Gummimuschis und Plüschpimmel“ zu sprechen. Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die Rede am 16.03.2016 in Dresden. Angela Merkel taucht dabei als schlechte Mutter auf, die ihre Nation verrät, indem sie andere „Kinder“ holt, um ihre eigene Kinderlosigkeit zu kompensieren. Diese Themen formulieren die rassistische Klammer aus: Die Forderung, die Grenzen dicht zu machen, war von Anfang an da, nun wird sie nochmal stärker mit dem Schutz der „deutschen Frau“ vor Vergewaltigung verknüpft. Hier werden Nation und Geschlecht sehr stark verbunden:  Frauen erscheinen als schützenswerter Teil der Nation, der für die deutschen Männer zu reservieren ist, über den deutsche Männer verfügen sollen - und nicht andere Männer. Gleichzeitig wird die Nation direkt vergeschlechtlicht, als vergewaltigtes Opfer, womit ein hoher Grad an Widerstand legitimiert wird.

 

Dieser Mechanismus einer symbolischen und moralischen reinen Opferkonstruktion, der „Notwehr“ legitimiert, der findet sich überall. Festerling hatte bereits die „HoGeSa“-Demo in Köln gelobt, die ebenso funktionierte.

TH: Rassismus und National-Chauvinismus bilden hier die Klammer für den Mythos eines in seiner vermeintlichen biophysischen Existenz bedrohten Volkskörpers, der die Abwehr des Fremden legitimiert. Das verbindet sich aber auch eng mit heteronormativen Vorstellungen von einer ‚gesunden‘ Beziehung zwischen den Geschlechtern – die heterosexuell und reproduktiv sein soll. Nicht umsonst arbeitet „Pegida“ mit den Angsterzählungen vom „Geburtendschihad“ der „muslimischen Wurfmaschinen“ (Festerling, 28.09.2015). Die Angst vor der vermeintlich größeren Vitalität, Virilität und Fertilität der ‚muslimischen Kultur‘ findet sich in anderer Form auch schon bei Thilo Sarrazin, wobei interessanterweise dort wie auch bei Pegida Biologie, Kultur, Religion vollständig vermengt werden. Zum Widererstarken der Nation gehört dann im Umkehrschluss, dass die autochthonen Deutschen in Norm-Familien wieder mehr Kinder miteinander zeugen. Der rassistische Diskurs wird hier notwendig von einem spezifischen geschlechterpolitischen Diskurs begleitet.

HE: Anfangs ging es um einen eher kulturellen rassistischen Überfremdungsdiskurs à la  „keine Glaubenskriege auf unserem Boden“ – da passte es argumentativ gut, Frauenrechte und Offenheit gegenüber Homosexualität als Abgrenzung zum eigenen Bild vom „undemokratischen Islam“ zu verwenden. Inzwischen ist man vom Überfremdungsbegriff zum Umvolkungsbegriff gekommen. Es geht jetzt um völkische Ideen, imaginiert wird ein  biologischer Austausch des Volkes durch sogenannte volksfremde Personen und Gruppen. Hierzu gehört ein viel körperbezogenerer Geschlechterdiskurs. Es geht um die Vergewaltigung der einzelnen Frau, deren Körper nationalisiert und als nationale Kampffläche genutzt wird. Oder eben um die Nation selbst, die als Organismus angegriffen wird und vergewaltigt werden kann.

 

Festerling fällt als Frau im rechten Spektrum mit ihrer Obszönität gewissermaßen „aus der Rolle“. Da wurden NPD-nahe Frauen schon eher zur Ordnung gerufen. Was ist das für ein Role-Model?

HE: Es muss nicht nur den starken Mann geben; Festerling als starke Frau kann auch führen. Bei anderen Redner_innen gibt es manchmal eine geschlechtliche Rollenverteilung, beispielsweise dass Frauen mit dem sozialen Nahraum argumentieren und Männer die politische Linie umreißen. Bei „Pegida“ hatte Festerling den Vorteil, in eine Gruppe zu kommen, wo eigentlich niemand sprechen konnte. Sie hat Philosophie studiert, konnte reden und hat damit eine Lücke gefüllt. Sie wurde bereits bei der Oberbürgermeister-Wahl als Führungsfigur und als einzigartig herausgestellt und ihr wurde eine besondere Kenntnis zu politischen Fragen bescheinigt und zugetraut.

TH: Dieses Ausfällige und Obszöne hat immer einen Teil von Festerlings Popularität ausgemacht, das brachte immer Jubel. Es ist aber auch ein rhetorisch eingeübter und taktisch eingesetzter Gestus. Ihre Reden sind im Unterschied zu vielen anderen Reden aus dem Orga-Team gut strukturiert, erzählen ein übergreifendes Narrativ, knüpfen an Kollektivmythen oder Klima-Theorien an. Die Mischung aus Obszönität und Professionalität machte ihren Erfolg aus.

HE: Insgesamt werden bei „Pegida“ Dinge drastischer ausgedrückt als teilweise bei der NPD. Die NPD wäre von vornherein unter dem Extremismus-Paradigma als „extremistisch“ stigmatisiert worden. Durch die Selbstdarstellung als „besorgte Bürger“ konnte Pegida hingegen die Grenzen des Sagbaren politisch -gesellschaftlich als auch juristisch lange Zeit austesten und weit ausdehnen. Für jeden inszenierten Tabubruch bekommt Festerling mehr Applaus.

 

Für diese eingeschränkte Wahrnehmung machst du das Extremismus-Paradigma verantwortlich?

HE: In Sachsen ist das Extremismus-Paradigma als grundlegendes Denkmuster weit verbreitet. Im Verfassungsschutzbericht wird beispielsweise zwischen „asylfeindlich“ und „asylkritisch“ unterschieden -  und damit eine Trennung zwischen „bösen Neonazis“ und mutmaßlich harmloseren Bürger_innen aufgemacht. Wenn dann Dinge gesagt werden, die nicht mehr zu entschuldigen sind, sind das „Entgleisungen“ oder „Versehen“ – maximal noch das alleinige Verschulden des Organisationsteams, das als Rattenfänger_innen alle anderen verführt. Die Bürger_innen hingegen würden sich ausprobieren und könnten sich vielleicht auch nicht besser ausdrücken.

TH: Es gibt von Professor Werner Patzelt zum Beispiel die Äußerung, man solle nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Dahinter steht eine Vorstellung von „normalen Bürgern“, die bei „Pegida“ schon qua ihrer Vielzahl, ihrer sozialen Herkunft und ihres Alters gesehen werden. In der Logik des Extremismus-Paradigmas müssen dann auch deren politische Positionen der ‚Normalität‘ zugerechnet werden, wenn sie auch unglücklich ausgedrückt und sprachlich verbesserungsbedürftig seien, Dass trägt auch zur Normalisierung und Legitimierung von Rassismus und Chauvinismus bei. Wenn ,normale Bürger‘ jetzt problematische Positionen vertreten, könne man diese nicht per se zurückweisen, weil es ja „normale Bürger“ seien. Was hingegen als „extrem“ gekennzeichnet ist, kann ausgegrenzt werden. Es geht dann aber nur um Ausgrenzung, nicht um Auseinandersetzung. Die weite Verbreitung von Rassismus, Sexismus und Homophobie würde zwar die Auseinandersetzung erfordern, aber das passiert in dieser Deutungslogik nicht, da sie nur die Opposition von ‚normalen‘, also hinzunehmenden, oder ‚extremen‘ und damit auszugrenzenden Positionen kennt.

 

CB: Noch einmal zurück zu Gender-Themen...

HE: Das war in den Reden, bis auf Festerling, nicht stark vertreten. Die Transparente beziehen sich mehr auf „Lügenpresse“, „Volksverräter“ und Migration. Geschlecht kommt dabei immer vor, es wird aber nicht explizit thematisiert. Es gehört zum Bild von Normalität, das gezeichnet wird: „Wir Deutsche sind heterosexuell, wir haben Kinder, wir gehen arbeiten“.

TH: In den Reden sortiert sich das Thema in das große Narrativ des Abwehrkampfes des Volkes gegen die Überzahl der Minderheiten ein. Letztere umfasst in der  Skandalrede von Akif Pirincci wie auch in den Reden Festerlings natürlich auch die „Homolobby“, die „verschwulten Männer“, die „Gender-Tanten“ und die „linksgrün-versifften Gutmenschen“. Die explizit geschlechterpolitischen Thematiken gehören zum identitären homogenen Volksbegriff, der Platzanweisungen macht, wer dazu gehört und wer nicht. Auf Transparenten und in den Reden spielten entsprechende Themen etwa im Nachgang zur Debatte um die ‚Kölner Silvesternacht‘ wieder eine gewisse Rolle, aber nur in dem Sinne, dass man sich bei Pegida immer auf tagesaktuelle Mediendebatten bezieht.

 

Das Thema gab es auch in Abgrenzung zu den Gegendemonstrant_innen: Die haben noch nicht mal Kinder, noch nie gearbeitet usw.

HE: Die Gegendemonstrant_innen werden oft als Kinder („ab ins Bett“) dargestellt, die noch keinen Nutzen für die Gesellschaft erbracht haben („faules Pack“). Sie werden als Abweichungen von jenem Normalbild beschrieben, die massiv ausgegrenzt werden. Das betrifft die verschleierte Frau oder eben die zu selbstbewusste Frau, die politisch sichtbar wird. Hier finden sich die Feindbilder von Merkel bis hin zu Helferinnen in der Flüchtlingsarbeit oder den Gegendemonstrantinnen. In der Form, wie Frauen hier adressiert werden, zeigt sich eine tiefe Frauenverachtung, die bis zu Vergewaltigungswünschen als Strafe für den „Volksverrat“ reicht. Auch im Publikum wird man mit Frauenhass konfrontiert. Leider ist das auch bei den Gegendemonstrationen wenig Thema.

 

Wie bildet sich die Beteiligung von Männern und Frauen auf der Straße ab?

HE: Männer sind sichtbarer, das liegt auch an ihrer Selbstdarstellung. Sie sind lauter und pöbeln, zum Beispiel wenn sie auf Gegendemonstrant_innen treffen.

TH: Männer sind nach allen empirischen Befunden, auch wenn diese keine Repräsentativität beanspruchen können, mit ca. 75 % auch quantitativ in der Überzahl. Das ist nicht unwahrscheinlich, schließlich handelt es sich um Demonstrationen im öffentlichen Raum, die um spezifische Themen zentriert sind und ein Klientel adressieren, welches generell männlich dominiert ist.

HE: Ich hatte am Anfang den Eindruck, dass Frauen als Ehefrauen und Partnerinnen dabei sind. Es gibt aber auch Frauengruppen. Gerade weil so viele Männer anwesend sind, gibt es die Tendenz, die Frauen nicht ernst zu nehmen. Selbst dann, wenn sie als Partnerinnen da sind, wissen sie, wo sie sind und warum sie da sind. Sie sind nicht in der Mehrzahl, aber auch nicht verschwindend gering.

 

Könnt ihr noch etwas zu den zivilgesellschaftlichen Protesten sagen?

TH: Wir haben dazu im Buch den Beitrag „So geht sächsisch“, der sich mit den spezifisch sächsischen Verhältnissen auseinandersetzt. Eine demokratische Streit- und Konfliktkultur fehlt. Es gibt wenig Erfahrung mit der produktiven politischen Einbindung zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzungen, die eigentlich auch nicht zugelassen sind – man denke etwa an die Kriminalisierung linket Proteste gegen die zeitweilig europaweit größten rechten Aufmärsche am 13. Februar. Dieselbe Tendenz betrifft aber auch den Umgang mit Protesten und Ausschreitungen von Rechts. Beachtenswert ist etwa das Zitat von Stanislaw Tillich nach den Ausschreitungen in Clausnitz: „Das sind keine Menschen, die so was tun“. Hier zeigt sich eine Tendenz der Marginalisierung und Ausgrenzung, die den Streit, den Konflikt und die Auseinandersetzung mit den dahinter stehenden Einstellungen und ihren Ursachen ersetzt. Diese Tendenz lässt sich generell bezüglich des Umgangs mit zivilgesellschaflichem Engagements feststellen.

HE: Die Institutionen sehen sich nicht als politische Akteurinnen. Auch die Universität mischt sich selten stadtpolitisch ein oder unterstützt die Gegendemonstrationen. Die städtischen Institutionen heben eher auf einen Image- oder Ordnungsdiskurs ab. Es gibt Shoppingangebote als Alternative in der Zeit der „Pegida“-Demos, „Dresden geht aus“ (http://dresden-geht-aus.de/). Das ist gerade keine Auseinandersetzung.

TH: Die Sicht auf „Pegida“ als Imageproblem findet sich in den Abgrenzungen gegenüber „Pegida“ immer wieder. Aber Imagepolitik ist etwas anderes als sich mit rassistischen Einstellungen und ihren Ursachen argumentativ und gestaltend auseinander zu setzen.

 

Abschließend kurz zum Buch: Was erwartet die Leserin und warum fügt ihr den vielen Studien zu „Pegida“ noch eine weitere hinzu?

TH: Ausgangspunkt ist, dass wir „Pegida“ selbst nicht besonders interessant finden. Wenn man sich die jahrelangen Studien von Heitmeyer oder die Mitte-Studien aus Leipzig anschaut, überrascht das Potential solcher Einstellungen nicht. Uns hat an der Art wie über „Pegida“ kommuniziert worden ist eher das Erstaunen erstaunt, dass also alle so überrascht getan haben. Es ging uns daher darum, bestimmte Deutungsmuster, die sich bei „Pegida“ wiederfinden, mit politischen Diskursen der letzten 20 bis30 Jahre abzugleichen. Denn die Deutungsmuster und Kollektivsymboliken der Forcierung eines Abwehrkampfs des nationalen Leistungs- und Wohlstandskollektivs gegen Fremde, Terroristen, ‚Sozialschmarotzer‘, Minderheiten etc. sind ja auch aus anderen Kontexten bekannt. Die Analysen der Reden, der veröffentlichen Interviews sowie der Repräsentationen auf Schildern und Transparenten waren dabei nur der Ausgangspunkt. Unser Fokus sind die spezifischen Interaktionen und Wechselwirkungen zwischen „Pegida“ und anderen gesellschaftlichen Instanzen.

Wir sehen „Pegida“ auch als ein Anzeichen von Verschiebungen, für die jetzt auch die AfD steht. „Pegida“ ist kein singuläres Phänomen. Zwischen „Pegida“ und anderen massenmedialen politischen Diskursen bestehen viele Überschneidungen. Die früheren „Pegida“-Reden setzen sich aus Originalzitaten von Vertreter_innen der etablierten Parteien oder medialen Deutungseliten zusammen, denen „Pegida“ zustimmt. „Pegida“ fordert nur etwas radikalere Konsequenzen. „Pegida“ ist nur ein Teil des Diskurses, wenn es um antimuslimische Ressentiments, Überfremdungsängsten und Wohlstandschauvinismus geht. Es gibt auch Vertreter_innen etablierter Parteien oder Institutionen, die vergleichbare Deutungsmuster reproduzieren – aber sich von „Pegida“ besonders vehement abgrenzen. Dafür wäre etwa Siegmar Gabriel ein Prototyp, man kann das aber auch an Thomas de Maizière zeigen. Um solche scheinbaren Paradoxien einer Komplizenschaft bei und hinter allen wechselseitigen Abgrenzung geht es uns und darum, wie man das erklärbar machen kann.

HE: Uns geht es aber auch um eine Intervention in den Diskurs um „Pegida“. Wir wollten eine andere Position vertreten, gerade hier in Dresden. Bisher wurde betrachtet, welche Menschen oder Milieus dort vertreten sind. Wir möchten darüber sprechen, was dort propagiert wird, wie dort Zustimmung erreicht wird und was die Leute von dort mitnehmen. Wir müssen uns die Inhalte anschauen. Wir haben einen politischen Anspruch.

TH: Wir gehen mit unseren politischen Interessen dabei durchaus offen um. Wenn Werner Patzelt Kategorien wie „Islam-/ Muslimfürchtigkeit“ verwendet, erfasst er explizite menschenfeindliche und rassistische Äußerungen nicht als solche, sondern verbirgt sie hinter emotionalisierenden Zuschreibungen von ‚Ängsten‘ und ‚Sorgen‘‚ verkauft das aber als „Objektivität“. Wir verstehen Rassismus hingegen als eine spezifische soziale Praxis und können dann darüber streiten, ob wir Indikatoren dieser Praxis am Phänomen „Pegida“ entdecken können oder nicht und wie wir politisch damit umgehen sollten. Gleichzeit wollen wir von einer Form des politischen und auch wissenschaftlichen Umgangs mit der Bewegung wegkommen, in dem es nur Ab- und Ausgrenzung gab oder die Deutung als „besorgte Bürger“, deren Sorgen und Nöte ernst zu nehmen sind. „Pegida“ – gerade in der steigenden Radikalität – ist ein akutes Krisensymptom, dass gesellschaftlich ernst genommen werde muss und die Auseinandersetzung fordert. Das heißt aber gerade nicht, dass „Pegida“ den politischen Diskurs bestimmen sollte oder gar rechtspopulistische „Lösungsvorschläge“ in die Agenda der etablierten Parteien zu übernehmen wären. Vielmehr wäre für uns die Frage, was die Ursachen dafür sind, dass rechtspopulistische Deutungen und Forderungen heute auch in den etablierten Parteien so attraktiv erscheinen und welche echten Alternativen dem entgegen zu setzen wären. Dabei betrachten wir verschiedene Aspekte aus verschiedenen Deutungsperspektiven, die auch zwischen den einzelnen Beiträgen strittig sind. Es ist also nicht „die große einzige ‚Pegida‘-Deutung“ – denn die gibt es nicht. Wer das behauptet, suggeriert nur, es gäbe die eine verbindliche Antwort einer „neutralen und objektiven“ Wissenschaft. So eindeutig ist das Leben aber nicht – auch wenn sich „Pegida“ aber auch manche politische und wissenschaftliche Expert_innen das wünschen würden.

 

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[1]     Heim, Tino (Hrsg., 2016): „Pegida“ als Spiegel und Projektionsfläche. Wechselwirkungen und Abgrenzungen zwischen „Pegida“, Politik, Medien, Zivilgesellschaft und Sozialwissenschaften. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.
[2]      Im Juli 2016 hat Lutz Bachmann die Gründung seiner Partei, der „FDDV – Freiheitlich Demokratische Volkspartei“ bekannt gegeben. Allerdings sind bisher keine Formalien zur Parteigründung erfüllt, vgl. http://www.netz-gegen-nazis.de/artikel/monats%C3%BCbersicht-juli-2016-rechtspopulismus-afd-und-pegida-11189

 

 

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Pegida, quo vadis? Heute: Mecklenburg-Vorpommern

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MVGida-Demonstration am 12. Januar 2015 in Stralsund.
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Endstation rechts / O. Cruzcampo
https://www.flickr.com/photos/97583384@N08/16245814866/in/album-72157

Die AfD zieht in den Schweriner Landtag ein, die Zahl rechter Straf- und Gewalttaten steigt rasant an und MVGida marschiert weiter durch mecklenburgische und vorpommersche Städte. In einer losen Serie betrachtet die Amadeu Antonio Stiftung auf netz-gegen-nazis.de die „Gidas“ der Bundesländer – auch unter Gender-Aspekten.
 

Es recherchierte Shirin Wolf mit der Unterstützung der Vereine Lobbi Ost und West  sowie dem Fleischervorstadtblog Greifswald.
 

Wie häufig finden in Mecklenburg-Vorpommern Demonstrationen von MVGida statt?

MV ist in den letzten Jahren von 2 Wellen der MVGida-Bewegung und ihrer Ablegergruppen erfasst worden.

Den Beginn markierte ein Aufmarsch der Gruppe „Rogida Rostock“ in Güstrow im Dezember 2014, der keinen offiziellen Bezug zu Dresden hatte, aber wegen des Wortteiles „Gida“ auf Interesse stieß. Angesichts alkoholisierter Teilnehmender, NPD-Aktivist_innen und öffentlicher Hitlergrüße verließen allerdings viele Zuhörer_innen die Veranstaltung wieder.

Die 1. Welle zahlreicher Aufmärsche überschwappte Mecklenburg-Vorpommern in der ersten Jahreshälfte 2015 und konzentrierte sich mit allein 16 Veranstaltungen auf die Städte Stralsund und Schwerin.

Die 2. Welle seit Jahresmitte 2015 zeichnete sich durch eine breite rassistische Mobilisierung zeitgleich zum Zuzug von Geflüchteten aus. MVGida bildete dabei nur noch ein Label neben anderen wie „Schwerin wehrt sich“, „MV-Patrioten“ oder „FFDG“ (Frieden, Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit). Die Kundgebungen und Umzüge sollten an Größe gewinnen und von nun an wurde die Demonstrationsstadt wöchentlich gewechselt. MVGida und seine regionalen Ableger gingen gezielt vor, um mehr Menschen in mehr Orten zu erreichten. Sehr erfolgreich waren sie dabei allerdings nicht.

Mit voranschreitender Zeit, sinkendem Interesse und starken Gegenbewegungen wurden aus wöchentlichen Veranstaltungen nur noch monatliche Demos. Die Anzahl der MVGida-Teilnehmenden sank von rund 600 auf 500 und pegelte sich dann allmählich auf 250 ein. Der Versuch eines Neustarts Anfang 2016 mündete schnell im Sommerloch, auch aufgrund des bevorstehenden Wahlkampfes. Vereinzelt starteten danach allerdings wieder Protestumzüge.'
 

Wer steckt hinter der Organisation der MVGida-Demonstrationen?

Während zu Beginn noch versucht wurde, NPD-Redner_innen abzuschirmen (im wahrsten Sinne des Wortes durch aufgespannte Schirme vor den Redepulten), um Parteizugehörigkeiten vor der Öffentlichkeit und der Presse zu verheimlichen, so traten sehr bald NPD-Gefolgsleute wie Antje Mentzel (Vorsitzende des Landesverbandes der NPD-Frauenorganisation „Ring Nationaler Frauen“) und Andreas Theißen (Landtagswahlkandidat der NPD) ganz offen vor das Mikro.

Das Knowhow und die Erfahrungen kommen von der NPD in Form von Anmelder_innen, Redner_innen und Ordner_innen. „Prominente“ Pegida-Redner_innen reisen selten nach MV. Die Ansprache von Legida-Organisator Jörg Hoyer, dem „Mann mit dem Hut“, bei der MVGida-Kundgebung in Schwerin im September 2015 blieb eine der wenigen Ausnahmen.

MVGida und seine Ableger aus den verschiedenen Regionen Mecklenburg-Vorpommerns, aber auch Gruppen wie „FFDG“, die sich in den rassistischen Diskurs mit eingeordnet haben, sind  in ihren Themen, Abläufen und Organisationsstrukturen kaum voneinander zu unterscheiden. Während die NPD früh ihre Freude über die Bewegung ausrief, betonen Gida-Organisator_innen gerne auf Veranstaltungen oder bei Facebook, dass rechtsextreme Parolen und Redebeiträge unerwünscht seien. Mit Eifer wird sich darüber beschwert, dass die „mutigen und besorgten Bürger_innen“ von der Öffentlichkeit als „Nazis“ wahrgenommen werden, im gleichen Atemzug allerdings folgen rassistische Ansprachen, ist rechtsextreme Musik zu hören und rechtsextreme Szenekleidung zu sehen. Und auch für Hitlergrüße und Siegheil-Rufe im Publikum scheinen die Veranstalter_innen blind und taub zu sein.

Der Ablauf vieler Veranstaltungen besticht durch Kürze und Routine. Innerhalb rund 1 Stunde erfolgen 1-2 kurze Redebeiträge, die Proteststrecke wird abgelaufen, Parolen werden ausgerufen und die Teilnehmenden mit Lob überhäuft („Ihr seid mutig! Ihr seid die Zukunft!“).

 

Welche Themen und Lösungsstrategien werden propagiert?

Die 1. Welle der Gida-Bewegung ist geprägt von einer Bandbreite an gesamtgesellschaftlichen Inhalten: gegen GEZ, Gendermainstreaming und die Antifa, für den Ausstieg aus der Atompolitik und die Bekämpfung von Altersarmut. Gerne werden auch Spenden für Obdachlose gesammelt oder antisemitische Verschwörungstheorien erörtert.

Mit dem zweiten Halbjahr 2015 kommt es zu einer zunehmenden Konzentration auf das Thema Asyl und „Überfremdung“. Oft wird dabei ein Bild krimineller, vergewaltigender und undankbarer Flüchtlinge ohne „richtigen“ Fluchtgrund gezeichnet. Untermauert wird die Kritik und Angst der „besorgten Bürger_innen“ mit Hilfe von Lokalbezügen wie etwa dem Flüchtlingsheimbau in der Nähe von Kindergärten, der Krankenhausschließung in Wolgast und generell dem „baldigen Verlust der schönen Heimat“. Weitere wiederkehrende Themen sind der Aufruf zu einem deutschen Aufstand, der Rücktritt Angela Merkels und die Wut über die „manipulierende Lügenpresse".

Während die Schlagworte der vermeintlich unschuldigen Abendspaziergänge immer mehr verschleiern, worum es den Veranstalter_innen geht („Gegen Krieg und Terror“ – Wolgast, „Familie, Werte, Heimatliebe statt Hass und Kriege“ – Anklam), wird die Diskreditierung des antifaschistischen und zivilgesellschaftlichen Widerstandes immer offener und präsenter. MVGida wirbt mit dem Slogan „Für unsere Heimat – Friedlich und vereint gegen Krieg & Extremismus“, sympathisiert aber offen mit der NPD oder rechtsradikalen Gruppen. So unterstützt MVGida die Luftballonaktion „Ich wünsche mir von Deutschland“ der gewaltbereiten „Aktionsgruppe Freundeskreis MuP“, teilt Wahlwerbung von AfD und NPD oder lobt Aktionen der „Identitären Bewegung“.

 

Wer geht demonstrieren?

Das typisch diffuse MVGida-Publikum besteht aus mittelständigen „besorgten“ Bürger_innen, NPD-Sympatisant_innen, Reichsbürger_innen, Rockern, Menschen aus dem Hooligan- und Trinkermilieu und alten Kamerad_innen aus den 1990ern oder Nullerjahren wie zum Beispiel dem verurteilten Greifswalder Neonazi Maik Spiegelmacher, der im Vorstand des rechtsextremen Vereins „Deutschland muss leben e.V.“ mitwirkt.

Viele Demonstrierende zeigen sich gewalt- und eventbereit und eher uninteressiert an politischen Redebeiträgen. Ihnen spielt zu, dass die MVGida-Demonstrationen nicht so sehr von Disziplin und Ordnung beherrscht werden wie die klassischen NPD-Aufmärsche in Mecklenburg-Vorpommern. Streng festgelegte Choreografien, Alkohol- und Pöbelverbote, wachsame Ordner_innen und das Image der „anständigen Deutschen“ gibt es bei MVGida fast bis gar nicht. Und genau das übt bis heute Anziehungskraft aus.

MVGida-Proteste konnten sich zu einem montagabendlichen Happening mit guten Kumpels und viel Alkohol entwickeln. Die aufgepeitschte Atmosphäre im anonymen Halbdunkel begünstigt Angriffe auf Presse und Andersdenkende. Die Vermeidung des NPD-Labels unterstützt zwar die Erscheinung als „Bürgerprotest“, die aggressiven Ausdrucksformen aber verprellten schnell das neu geworbene Publikum.

Innerhalb der rechten Szene wurden die Disziplinlosigkeit und die damit verbundene schlechte Außenwirkung kontrovers diskutiert. Die vermeintliche Elite und ranghöhere Rechte bleiben als Folge zunehmend im Hintergrund oder halten sich komplett fern.

 

Wie sichtbar sind Frauen?

MVGida-Märsche bleiben männlich dominiert. Der mitlaufende Frauenanteil beträgt ungefähr 25%, ist damit niedriger als bei Gida-Demonstrationen anderer Bundesländer aber höher als klassische NPD-Aufmärsche in MV (10-15%).

Frauen, die bei früheren NPD-Kundgebungen als choreografierte Banner-Sympathie-Trägerinnen fungierten, übernehmen heute aktiv Anmelde- und Ordnungsfunktionen.

Und trotzdem ändert dies nichts am klassischen Rollenbild für Männer und Frauen, an dem MVGida und die NPD festhalten. Die Bewegung lehnt Gendermainstreaming, Genderstudies und nicht-heteronormative Sexualitäten ab. Die deutsche Frau soll besorgte Mutter und gute Hauswirtschaftlerin bleiben. MVGida-Mitorganisatorin Antje Mentzel zum Beispiel inszeniert sich gerne als „mutige deutsche Mutter“, verschweigt dabei aber genauso gerne ihre NPD-Parteiarbeit.

 

Welche Rolle kommt den sozialen Netzwerken zu?

Schon Ende 2014 entstanden zahlreiche Seiten in den sozialen Netzwerken, allen voran auf Facebook. Hier posten und kommentieren neben den bereits oben genannten MVGida-Ablegern auch Gruppen wie „Patrioten Rostock/Rügen/Stralsund“, „Greifswald Echo“ oder „Deutschland muss leben“ regelmäßig aktuelle Pressemitteilungen, bewerben Kundgebungen, machen Parteiwerbung für AfD und NPD und lassen dem Hass auf Flüchtlinge und Andersdenkende gern und oft freien Lauf. Anfang 2016 postete „Greifswald wehrt sich“:

Die Jagd beginnt! Heute ab 22 Uhr werden wir euch suchen und wir werden euch finden! Die Zeit des Vergebens ist vorbei. Jetzt gibt’s auf die Fresse!
 

Kommt das Thema in pädagogischen Feldern an?

Flüchtlingsfeindlichkeit und Rassismus zeigen sich als massives Problem in mecklenburgischen und vorpommerschen Schulen. Als Reaktion darauf hat die Landeszentrale für Politische Bildung in diesem Jahr eine kostenlose Broschüre zum Theme „Flüchlinge in MV“ veröffentlicht (als pdf hier), die dem Lehrpersonal als Argumentationshilfe dienen kann, bei Fragen, Unwissen oder auch Falschbehauptungen seitens der Schüler_innen. Sie klärt auf über genaue Zuwanderungszahlen, das Asylverfahren oder warum auch Flüchtlinge zum Beispiel Smartphones besitzen.

 

Wie sieht der Gegenprotest aus?

Ähnlich wie die Gida-Bewegungen haben auch die Gegenbewegungen in MV Entwicklungen durchlaufen. Die regionalen Mobilisierungen waren trotz häufig wechselnder Demonstrationsstädte und zwischenzeitlich schlechter Wetterlagen engagiert und zahlreich (bis zu 2000 Gegendemonstrierende in Rostock, 1000 in Schwerin, 450 in Stralsund). Rostock zeigte in Mecklenburg-Vorpommern MVGida und auch Veranstaltungen der AfD den größten Protest. Die AfD nutzte seit dem Herbst 2015 die rassistische Mobilisierungswelle und veranstaltete danach parallel zu MVGida Demonstrationen in Rostock, Stralsund und Neubrandenburg. Einen Zusammenhang zwischen AfD-Demos und dem Niedergang von MVGida gibt es allerdings nicht.

Der öffentliche Tenor, die Positionierung der Landesregierung, die zahlreichen Initiativen (wie „Rostock nazifrei“   oder „Greifswald für alle“und regionale Kirchenverbände unterstützten den Gegenprotest. Ministerpräsident Erwin Sellering, der Greifswalder Bürgermeister Stefan Fassbinder und die Rektorin der Greifswalder Universität Hannelore Weber zeigten ebenso Gesicht und unterstützten Spendenläufe, Aktionstage und Festivals.

Als im Laufe der Zeit die marschierenden Anhänger_innen von MVGida und Co. weniger wurden, sanken auch die Zahlen der Gegenseite. Einen Frustrationsfaktor auf Seiten der Gida-Gegner_innen stellt allerdings das Handeln der Polizei dar. Der mangelnde Schutz des Gegenprotestes sowie die mangelnde Verfolgung von rechten Angriffen, stattdessen unverhältnismäßig viele Personenkontrollen der Protestierenden und mangelnde Verfolgung von rechten Angriffen hemmten die regionale Mobilisierung.

 

Ein kurzes Fazit

Die AfD ist im September mit 20,8% Wahlstimmen in den Schweriner Landtag eingezogen und die Zahl rechter Straf- und Gewalttaten hat sich in Mecklenburg-Vorpommern fast verdreifacht. (Quelle: NDR)

Die Wähler_innen in Peenemünde, einem Ort ganz ohne Flüchtlinge, haben mit über 50% AfD und NPD gewählt. MVGida und seine Ableger haben an sichtbarer Straßenpräsenz verloren, aber angesichts der Wahlergebnisse einen parlamentarischen Arm und damit eine wählbare Alternative für ihre Themen und Ideologien dazugewonnen.

Die NPD-Strukturen hinter MVGida haben dazu geführt, dass rechte Parolen und Ideologien von Menschen gehört werden, die mit diesen sonst nicht so direkt in Kontakt kommen würden. Auch wenn der Expert_innenblick und der Großteil der öffentlichen Berichterstattung kritisch bleiben, ist Hetze auf der Straße und im Netz heute legitimer als noch vor ein paar Jahren.

Denn sie existieren nach wie vor, die vom Verfassungsschutz beobachteten Abendspaziergänge und Mahnwachen von MVGida und seinen Ablegergruppen.

 

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5 Jahre NSU: "Rückhaltlose Aufklärung" sieht anders aus

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Ernüchternde Bilanz fünf Jahre nach Selbstenttarnung des NSU: Pressekonferenz mit Timo Reinfrank (Amadeu Antonio Stiftung), Carsten Ilius (Nebenklage-Anwalt), und Léonie Jeismann (Bühne der Menschenrechte).
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ngn / SR

Vor fünf Jahren enttarnte sich der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) am 04. November 2011 selbst. Für die Angehörigen ihrer Opfer endete damit eine langjährige Phase von falschen und oft rassistischen Verdächtigungen und Fehlermittlungen. Bundeskanzlerin Angela Merkel versprach den Angehörigen angesichts des Rechtsterrorismus "rückhaltlose Aufklärung" - was Nebenklageanwalt Carsten Ilius heute im NSU-Prozess als Farce erlebt. Timo Reinfrank, Stiftungskoordinator der Amadeu Antonio Stiftung, sieht zumindest gesellschaftspolitische Verbesserungen, wie beide auf einer Pressekonferenz am 02.11.2016 in Berlin erläuterten. Derweil hat am 03.11.2016 das Stück "Die NSU-Monologe" Premiere, das die Sicht der Ehefrauen Elif Kubaşık (Witwe von Mehmet) und Adile Şimşek (Witwe von Enver) und von Ismail Yozgat (Vater von Halit) eindringlich erlebbar macht.

Von Simone Rafael

Vor fünf Jahren enttarnte sich der NSU. Seitdem ist zumindest die Existenz von Rechtsterrorismus in Deutschland nach der Wende nicht mehr zu leugnen. Seit 2013 läuft vor dem Münchner Oberlandesgericht gegen Beate Zschäpe, einzige Überlebende des NSU-"Trios", und vier mutmaßliche Unterstützer. Wird damit dem Rechtsterrorismus in Deutschland genüge getan? Funktioniert die Aufklärung im Gericht und in den Untersuchungsausschüssen, die des im Bund und in sieben Bundesländern gab beziehungsweise gibt? 
 

Der Nebenklage-Anwalt: Aktenvernichtung statt Ermittlungsarbeit

Rechtsanwalt Carsten Ilius vertritt im NSU-Verfahren Elif Kubaşık, Witwe des ermordeten Mehmet Kubaşık, und ist über den Prozessverlauf  ernüchtert: "Gute Ermittlungs- und Strafverfolgungsarbeit hätte zumindest das Vertrauen der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland in die Ermittlungsbehörden wiederherstellen können, dass 2011 zerstört wurde. Doch diese Chance wird vertan." Er sieht keine ernsthaften Aufklärungsbemühungen bei Polizei, Verfassungsschutz und beim Generalbundesanwalt. "Weiterhin konzentrieren sich die Ermittlungen auf das NSU-Kern-Trio. In Richtung des offenkundig vorhandenen, weit größeren Unterstützer-Netzwerks etwa in den Städten, in denen die Morde passierten, sind nicht einmal Strukturermittlungsverfahren eingeleitet worden", sagt Ilius.

Statt in rechtsextremen Strukturen etwa in Dortmund oder Zwickau zu ermitteln und zu den Beweisen, die der NSU selbst nicht zerstört hat, weitere Ermittlungsleistungen für die Verurteilung der aktuell vor Gericht Stehenden zu erbringen, tun sich Ermittlungsbehörden mehr durch das Verstecken und Vernichten von Aktenbeständen hervor - und das bisher ohne strafrechtliche Konsequenzen. Ein Verfahren wegen Zerstörung von Asservaten wurde bereits eingestellt - der Vorsatz war nicht nachzuweisen. Ein weiteres Verfahren gegen einen ehemaligen Referatsleiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit dem Tarnnamen "Lothar Lingen" - denn der hatte 2014 selbst zugegeben, im Jahr 2011 Akten von V-Männern absichtlich vernichtet zu haben mit Blick auf den Prozess (vgl. Welt). Währenddessen lasse die Generalbundesanwaltschaft zu, dass Nazi-Zeugen dem Gericht offen ins Gesicht lügen, statt einmal Druck wegen der Falschaussagen auszuüben - auch dies auf Kosten der Aufklärung.
 

"Alle großen Fragen sind nach wie vor unbeantwortet: Wie groß war diese rechtsterroristische Vereinigung wirklich? Wer hat sie unterstützt? Wie hat sie sich finanziert? Warum hatte der Verfassungsschutz so viele Informant_innen im Umfeld und wusste trotzdem nichts über die Morde? Hätten Morde verhindert werden können?", sagt Carsten Ilius. Auch eine Sensibilisierung für rassistische Strukturen in Polizei und Justiz sieht er nicht gegeben: "Nicht nur, dass wegen der strukturelle Rassismus während der Polizeiermittlungen nicht reflexiv behandelt wird - im NSU-Prozess hat sich auch kein einziger Polizist bei den Angehörigen entschuldigt. Das sagt sehr viel aus", sagt Ilius. Trotzdem bringe der Prozess natürlich auch Ergebnisse: Die bisher ermittelten Tatverdächtigen würden eine Strafe erhalten. Die Öffentlichkeit wisse nun mehr über die mitangeklagten Unterstützer, die Wahl der Tatorte, und auch darüber, dass der Verfassungsschutz Akten geschreddert und der Generalbundesanwalt offenbar kein Interesse and der Verfolgung des gesamten rechtsterroristischen Netzwerks habe. "Das heißt, mit dem Ende des NSU-Prozesses ist die Aufklärungsarbeit noch lange nicht vorbei. Wir werden weitere Aufklärung fordern - auch mit juristischen Mitteln."
 

Die Angehörigen kommen in den "NSU-Monologen" zu Wort

Den Angehörigen der ermordeten NSU-Opfer gibt das dokumentarische Theaterstück "Die NSU-Monologe" der Theatergruppe "Bühne der Menschenrechte" eine Stimme. Es hat am 03.11.2016 im Heimathafen Neukölln in Berlin Premiere auf Deutsch mit türkischen Untertiteln und am 05.11.2016 Premiere auf Türkisch mit deutschen Untertiteln und kann danach bundesweit aufgeführt werden, wie Projektkoordinatorin Léonie Jeismann erläutert. Grundlage der Texte sind Interviews mit den Witwen von Mehmet Kubaşık und Enver Şimşek und Dokumente aus der Familie des ermordeten Halit Yozgat. "Es geht uns darum, die Familiengeschichten und Menschen sichtbar zu machen, die uns sonst maximal als "Opfer" und "Angehörige" präsentiert werden", sagt Jeismann. Besonders ginge des darum, den Ehefrauen eine Stimme zu geben, die jenseits der Öffentlichkeit seit 2006 intensiv um eine Aufklärung der Morde kämpfen, aber wenig öffentlich wahrgenommen werden. Es ist nicht das einzige Theaterprojekt, dass sich aktuell mit der Aufarbeitung des NSU-Komplexes beschäftigt: Verschiedenste Stücke bringt dieser Tage das in Chemnitz und Zwickau stattfindende "Theatertreffen Unentdeckte Nachbarn" auf die Bühne. Die Amadeu Antonio Stiftung fördert anlässlich des fünften Jahrestages außerdem die Veranstaltungsreihe "Der Nationalsozialistische Untergrund - der Mythos vom Trio" in Dresden und in Frankfurt am Main eine interdisziplinäre Tagung zum fünfjährigen Öffentlichwerden des NSU.
 

Gesellschaftspolitisch: Zumindest ist die Existenz von Rechtsterrorismus nun anerkannt

Denn zumindest gesellschaftspolitisch habe sich in den letzten fünf Jahren seit Enttarnung des NSU einiges getan, findet Timo Reinfrank, Projektkoordinator der Amadeu Antonio Stiftung. Immerhin gäbe es ein einstimmige Verurteilung der rechtsextremen Morde aus dem Bundestag, Untersuchungsausschüsse in sieben Landesparlamenten, die Neuzählung und Überprüfung der Zahl der Todesopfer rechtsextremer Gewalt durch die Landeskriminalämter, die Einrichtung des bundesländer- und behördenübergreifenden "Abwehrzentrums Extremismus" in Köln, eine Verdopplung der Mittel für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechtsextremismus, die Einrichtung von Beobachtungs- und Dokumentationsstrukturen in verschiedenen Bundesländern. "Insgesamt hat die Verdrängung des Rechtsextremismus abgenommen, wenn es auch weiter viel Bedarf bei der Aufarbeitung rassistischer Strukturen und Routinen gibt - sei es bei der Polizei, in Schulen oder in den Medien", sagt Reinfrank, "und angesichts der wachsenden rassistischen Mobilisierungen auf den Straßen und dem Erfolg einer rechtspopulistischen Partei mit Hetze gegen Geflüchtete ist weitere Aufmerksamkeit unbedingt angebracht, damit sich nicht gerade jetzt neue rechtsterroristische Strukturen entwickeln - zumal sich für die Opfer rechtsextremer Gewalt jeder Übergriff so anfühlt."
 

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